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Channel: Markus Leutwyler – SBB Stories.
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Hand halten.

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Liebe Eltern, Göttis und Gotten. Grosseltern, Nannies oder grössere Geschwister. Ich mache es ganz kurz: Haltet eure kleinen Kinder bitte fest! Nicht immer, aber jedes Mal wenn ihr auf dem Perron seid.

Würdet ihr euer Kind auf dem Pannenstreifen auf der Autobahn spielen und herumrennen lassen? Während kaum einen Meter nebenan Lastwagen mit Anhängern und Autos vorbeidonnern? Das käme euch doch sicher nie in den Sinn.

Dabei sind Strassenfahrzeuge sogar noch im Vorteil. Ein Lastwagen ist viel leichter als ein Zug und seine Gummireifen erlauben ein schnelleres Bremsen. Er fährt langsamer und kann eventuell noch ausweichen. Vorausgesetzt, der Fahrer oder die Fahrerin hat ein paar Sekunden Zeit zu reagieren.

Das kann ich mit meinem Zug beim besten Willen nicht. Ich sehe das Unheil kommen, das ich hier nicht näher beschreiben will und das ich zum Glück noch nie erleiden musste. Alles, was ich dann tun kann, ist hupen und eine Schnellbremsung einleiten. Doch es würde leider auch so nicht reichen.

Bis jetzt hatte ich immer Glück. Trotzdem werden meine Augen nass und ich bekomme Gänsehaut, wenn ich mir die eine oder andere Situation vorstelle. Zum Beispiel dieses kleine Mädchen, das hinter einem Wartehäuschen hervorschoss und schnurstracks in Richtung meinem Gleis rannte, während ich am Einfahren war. Ein Sicherheitsmann und ihr Vater konnten es in letzter Sekunde abfangen. Oder der Bub und das Mädchen, die an der Perronkante «Fangis» spielten, während ihre beiden Mütter auf dem Bänkli sassen und plauderten.

Ich hatte immer Glück, doch ich wünsche mir etwas Handfesteres als Glück. Und zwar die Hand eines Erwachsenen, die das Händchen des Kindes hält. Dann bleiben immer noch zwei freie Hände übrig, beispielsweise um dem Zug zuzuwinken. Das macht dann richtig Freude!

 

Tipps für sicheres Reisen sowie die Broschüre «Mit Sicherheit besser ankommen» gibt es auf sbb.ch/sicherheit.

 


Für guten Empfang.

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Ich sitze im Zug und schreibe diesen Text, während wir durch einen Tunnel fahren. Hinter mir telefoniert jemand leise und ich speichere meinen Text in der Cloud. Bis vor Kurzem habe ich mir nicht viel dabei gedacht, doch seit ein paar Tagen verstehe ich besser, was dazu alles notwendig ist.

Bei meiner Tourvorbereitung staunte ich kürzlich nicht schlecht. Die eingetragene Tour war doch sehr speziell: Sie enthielt ausschliesslich Fahrten in den Tunnels zwischen Zürich HB, Stadelhofen und Tiefenbrunnen. Rund zehn Mal hin und her und das mitten in der Nacht. Was konnte das nur sein? Die Zusatzinformationen im Zirkular lösten das Rätsel: Ich war auf einem Funkmesszug eingeteilt.

Der Funkmesswagen (Mewa12) hinter einer Lok vom Typ Re 420.
Der Funkmesswagen (Mewa12) hinter einer Lok vom Typ Re 420.

Es ist Sonntagnacht gegen 23 Uhr. Der gelbe Funkmesswagen befindet sich zwischen einer älteren Lok vom Typ Re 420 und einem noch älteren Steuerwagen. Ich bereite den Zug vor, um wenig später die erste Fahrt zu beginnen. Die Fahrten sind für mich recht fordernd. Während über vier Stunden rüste ich auf, rangiere, fahre und rüste wieder ab, nur um mit der nächsten Zugnummer das Ganze von Neuem zu beginnen. Morgens um 2:30 Uhr ist mein Dienst zu Ende und im Messplan gibt es eine kurze Pause. Markus Abt, der in dieser Nacht die Messgeräte bedient, hat nun etwas Zeit, um mir seinen Arbeitsplatz zu zeigen.

Markus Abt an seinem Arbeitsplatz.
Markus Abt an seinem Arbeitsplatz.

Als erstes gibt mir Markus einen feinen Kaffee aus der bordeigenen Kaffeemaschine. «Eigentlich gäbe es in den Tunnels keinen Empfang», erklärt mir Markus als Erstes. «Bei den Tunnelportalen stehen Kopfstationen (Masterunits), die die Funksignale via Glasfaserkabel zu den Tunnelfunkstellen (Remoteunits) leiten. Und das funktioniert auch umgekehrt: Die im Tunnel empfangenen Signale werden nach draussen geführt. Das Ganze heisst Tunnelfunkanlage und ist von der Funktion her mit einer «komplexen Antenne» zu vergleichen». Von den Tunnelfunkstellen werden die Funksignale auf sogenannte «Strahlende Kabel» (auch Leakyfeeder genannt) und von da auf den Zug gesendet. Messungen zur Überprüfung der Tunnelfunkanlagen finden regelmässig statt, so wie heute.

Messungen zur Überprüfung der Tunnelfunkanlagen finden regelmässig statt.
Messungen zur Überprüfung der Tunnelfunkanlagen finden regelmässig statt.

Der Funkmesswagen (Mewa12) ist bereits der dritte seiner Art und wurde im Hinblick auf die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels neu zusammengestellt. Auf seinem Dach sind Antennen wie Zinnen einer Burg aufgereiht. Übrigens wurde genau dieser Wagen für die Übertragung der Kamerasignale aus dem Festzug bei den Feierlichkeiten zur Eröffnung des Gotthard-Basistunnels genutzt. Zwei Aufkleber vom Schweizer Fernsehen erinnern daran.

Technik bis zur Decke.
Technik bis zur Decke.

In Racks, die bis unter die Decke reichen, reiht sich Messgerät an Messgerät. Unscheinbar, aber sehr wichtig ist die hochpräzise Positionsbestimmung. «Im Innern von Tunnels gibt es keinen GPS-Empfang», erklärt mir Markus. «Deshalb werden die Positionsdaten mit einem Gerät ermittelt, das unter anderem einen «Kreiselkompass» wie bei Flugzeugen enthält. Es ist so genau, dass wir sogar sehen, auf welchem Gleis wir uns befinden». Die aktuelle Position wird auf einer elektronischen Karte angezeigt.

Die Positionsdaten werden ermittelt und auf einer Karte angezeigt.
Die Positionsdaten werden ermittelt und auf einer Karte angezeigt.

Verschiedene Empfänger und Analysegeräte messen die Funksignale der einzelnen Funkbänder. Die tiefsten gemessenen Frequenzen liegen bei rund 380 MHz und werden für Notrufdienste wie bei der Polizei oder der Feuerwehr eingesetzt. Bei 900 MHz liegt das bahneigene Funknetz GSM-R gefolgt vom öffentlichen Mobiltelefonnetz. Es folgen die Frequenzen im Gigahertzbereich für das etwas neuere UMTS (3G) und den neusten Standard LTE (4G).

Auf jeder meiner Fahrten wurden andere Frequenzen gemessen. «Bei derart hohen Frequenzen können wenige Zentimeter bereits einen Unterschied in der Signalstärke ausmachen. Deshalb messen wir auch immer in beide Fahrtrichtungen. Die Messungen erfolgen alle fünf Zentimeter», erklärt Markus Abt.

Im Sitzungsraum werden die Messdaten analysiert.
Im Sitzungsraum werden die Messdaten analysiert.

Zum Schluss zeigt er mir noch die anderen Abschnitte des Wagens. In der Mitte gibt es einen Sitzungsraum mit Bildschirmen, auf denen die gewünschten Messdaten angezeigt und analysiert werden können. Am Wagenende befindet sich die Stromversorgung. Normalerweise stammt der Strom aus dem Heizkabel der Lok oder von den Batterien. Entleeren sich diese zu stark, springt ein Dieselgenerator an. Ein klein wenig analoge Technik steht aber trotzdem noch im Messwagen: Besucher des Wagens erhalten ein Edmondsonsches Kartonbillett, das extra für den Messwagen erstellt wurde.

Geisterzug zur Geisterstunde.

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«Nächtliche Testfahrt Assistenzsysteme für Lokführer» hiesst der nüchterne Titel des Medienanlasses in Bern in der Nacht vom vierten auf den fünften Dezember 2017. «Assistenzsysteme» ist hier etwas tiefgestapelt. Denn tatsächlich werden die anwesenden Journalistinnen und Journalisten Zeugen der ersten Fahrt auf offener Strecke, bei welcher die Fahr- und Bremsbefehle an den Zug nicht von einem Lokführer, sondern ferngesteuert übermittelt werden.

Vor dem praktischen Teil werden die etwa dreissig anwesenden Medienleute über den bevorstehenden Test informiert. Dass dieser Anlass eine sehr hohe Priorität in der Bahnwelt geniesst, zeigt sich deutlich an der Präsenz von Führungskräften der obersten Etagen. Andreas Meyer (CEO SBB), Peter Spuhler (CEO Stadler Rail) und Thomas Küchler (CEO SOB) erklären, wie dank intelligenten digitalen Systemen die Kapazität der Eisenbahnanlagen gesteigert werden soll. «Technik statt Beton» und «Vernetzung» sind mir als Schlagworte geblieben.

Kurz nach Mitternacht sind die Indoor-Präsentationen zu Ende und wir begeben uns zum Gleis 9, wo der Testzug, ein Stadler RABe 511, einfährt. Die Tür zum Führerraum steht offen. Andreas Meyer unterhält sich mit dem Lokführer. Mit ein paar Minuten Verspätung setzt dieser den Zug in Bewegung. Er führt den Zug ganz konventionell bis Mattstetten bis zur «CAB»-Tafel, die den Anfang des ETCS-Level 2 signalisiert. Ab hier ist der Zug vollüberwacht und die Fahranweisungen werden auf den Bildschirm im Führerstand übermittelt. Ab hier übernimmt der Automat. Im Fahrgastraum sitzt ein Mitarbeiter der SBB, der per Notebook die Geschwindigkeitsvorgaben an den Zug ausgibt. Wie von Geisterhand beschleunigt der Zug, bremst, macht einen Nothalt. Auf dem Bildschirm sehe ich den rosaroten Punkt für die Sollgeschwindigkeit sich bewegen, als würde ein Lokführer die Geschwindigkeit anpassen. Natürlich ist das auf eine Art beeindruckend. Andererseits spielt sich hier noch alles auf der rein digitalen Ebene ab. Daten werden computergerecht erzeugt und von hier nach da geschaufelt, bis sie am digitalen Endpunkt das gewünschte Verhalten bewirken. Eine Interaktion mit Umwelteinflüssen findet bei diesem Prozess nicht statt.

Gedanken eines Lokführers.

Wenn ich mich zum Thema «selbstfahrende» Züge äussere, kommt rasch der Vorwurf der Befangenheit. Das finde ich verständlich. Immerhin liegt die Bedrohung in der Luft, dass dereinst meine Lieblingsberufung, Eisenbahnen zu führen, durch Maschinen erledigt werden könnte. Doch habe ich wirklich Angst davor? Ich mache mir in Tat und Wahrheit ganz andere Gedanken. Da ist zum einen die Neugier, wie das Ganze technisch gelöst werden soll. Zum anderen sehe ich unzählige Situationen, bei denen ich mir fast sicher bin, dass ein technisches System an seine Grenzen stösst, weil ihm die Erfahrung fehlt, die sich jeder Lokführer und jede Lokführerin im Lauf der Jahre aneignet. Andreas Meyer betonte in seinem Referat denn auch, dass er sich komplett führerlose Züge nicht vorstellen könne.

Bei der heutigen Testfahrt herrschen trockene Wetterverhältnisse. Das System Rad-Schiene funktioniert brav so, wie es die physikalischen Modelle im Idealfall vorhersagen. Die Strecke wurde bewusst ausgewählt, weil sie die technischen Voraussetzungen für einen solchen Versuch erfüllt. Schweizweit sind nur vier Streckenabschnitte mit ETCS Level 2 ausgerüstet: Die Strecke Rothrist–Mattstetten inkl. Abzweiger nach Solothurn, der Lötschberg-Basistunnel, der Gotthard-Basistunnel und ein Abschnitt im Genferseebecken. Auf allen anderen Strecken wäre der heutige Versuch zur Zeit nicht möglich gewesen.

Ich bin seit rund neun Jahren Lokführer und bewege Züge über Schienen. Schienen, die trocken sind, nasse, verschneite, neue und alte. Ich kenne mich aus mit sieben verschiedenen Fahrzeugtypen, mit ihren Eigenheiten und Macken. Störungen treten gelegentlich auf und einige davon kann ich beheben. Ich kenne meine Strecken, ich erkenne das Verhalten von Passagieren. Am Anfang machte ich viel mehr Fehler als heute. Mittlerweile sehe ich Situationen kommen und kann vorausschauend handeln. Das alles kommt der Sicherheit und dem Komfort der Passagiere zu Gute.

Mensch vs. Maschine.

Nach dem heutigen Anlass habe ich mehr offene Fragen als beantwortete. Wie soll langjährige Erfahrung digital abgebildet werden? Wie soll einem System beigebracht werden, das Verhalten von Passagieren zu interpretieren? Stimmen die Modellannahmen und kann tatsächlich Energie gespart und die Kapazität erhöht werden? Wieso werden diesen technischen Systemen Informationen zur Verfügung gestellt, die ich als Lokführer nicht erhalte? Wie würde ich fahren, wenn man mir diese Informationen gäbe?

Im heutigen Testzug sind Welten aufeinander geprallt. Während die Exponenten der Bahn die Erkenntnisse aus diesem sehr vereinfachten Versuch auf die grosse Skala extrapolieren, sehe ich die tägliche Realität. Die Sprayerei am Testzug war geradezu sinnbildlich hierfür. Die reale Welt setzt Patina an, Nullen und Einsen nicht.

Ich bin ein grosser Fan vom System Mensch. Menschen sind extrem universell, lernfähig, kreativ und intelligent. Digitale Systeme haben sicherlich grosses Potenzial. Doch das Potenzial des Systems Mensch scheint mir bei Weitem noch nicht ausgereizt. Zu guter Letzt bin ich wohl auch etwas eifersüchtig, dass diese dümmlichen Computer mehr Begeisterung ernten als wir analogen Menschen, die aber in der Summe ihren Job nach wie vor deutlich besser machen. Und das höchstwahrscheinlich noch sehr lange.

Weiterlesen:

«Automatisch, aber mit Lokführer» – IT-Projektleiter Martin Kyburz war ebenfalls beim Test dabei und erklärt, weshalb die SBB das Projekt SmartRail 4.0 vorantreibt.

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