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Channel: Markus Leutwyler – SBB Stories.
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Der Rhythmus der Züge.

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Seit es die Eisenbahn gibt, inspiriert sie die Musik*. Bei der Bahn drehen sich Räder, sie klopfen und knarren. In Kurven und beim Anhalten quietscht es und Dampfloks schnaufen, zischen und «pfupfern». Früher, als die Gleise noch nicht verschweisst waren, trommelte jedes Drehgestell zwei Sechzehntelnoten, wenn es über einen Schienenstoss fuhr. Pro Wagen vier Schläge. Es sind Geräusche, die Assoziationen wecken. Bilder von Reisen, Gedanken an Abschied und Wiedersehen. Allein oder gemeinsam. Geschäftlich oder privat.

Die Bahn hat Rhythmus.

Ein besonderer Rhythmus ergibt sich durch den Taktfahrplan. Es ist ein Rhythmus, der nicht mit dem Gehör wahrgenommen werden kann. Und auch dem Auge erschliesst er sich nur mit etwas Geduld. Die Rede ist vom Kommen und Gehen der Züge. Wer längere Zeit an einem grossen Bahnhof verweilt, stellt fest, dass sowohl die Züge als auch die Passagierströme pulsieren. Besonders deutlich ist das in Zürich. Der erste Fernverkehrszug fährt drei Minuten vor der vollen Stunde, der letzte 12 Minuten nach vollen Stunde ab. Danach ist die «Halle» für ein paar Minuten wie leergefegt. Nun fahren die Züge mit Abfahrt zwischen Minute 30 und 40 ein. Kurz vor der halben Stunde sind praktisch alle Gleise belegt. Um Viertel vor ist der Bahnhof wieder leer.

Spinnen am Bahnhof.

Wir Bähnler nennen die Zeit, um welche herum die Züge abfahren, «Spinne». Es gibt somit z.B. eine «Fünf-Uhr-Spinne», eine «Halb-Sechs-Uhr-Spinne» usw. Meetings werden so geplant, dass sie auf eine bestimmte Spinne hin enden. Das heisst, alle Teilnehmer erwischen ohne lange Wartezeit ihren Zug. Sogar im Stromverbrauch ist dieser Rhythmus sichtbar. All die beinahe gleichzeitig losfahrenden Züge hinterlassen auf der Grafik einen kleinen Ausschlag nach oben.

Die Atem-Züge.

Der Bahnhof atmet. Er atmet Züge ein und aus und die Züge atmen Menschen aus und ein. In den Stosszeiten atmet der Bahnhof ganz tief durch. Nachts zwischen eins und fünf Uhr macht der Bahnhof eine «Atempause». Ganz erlahmt der Atem jedoch nie. Selbst in der tiefsten Nacht fährt die eine oder andere Rangierlok ein und aus. Der Personaltransport in die Abstellanlage Herdern – es handelt sich um einen einzelnen Triebwagen vom Typ RBe540 – kommt und geht im Zwanzigminutentakt. Der Atem ist jetzt etwas schneller, dafür nur noch oberflächlich.

Zürich Hauptbahnhof, 15.35 bis 15.58 Uhr.

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* Zugmusik.

 

Kennt ihr noch weitere Songs, die mit Zügen oder Bahnhöfen zu tun haben?


Schwer geprüft.

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Samichlaus, Zahnarzt, Personalbeurteilungsgespräch, Lehrabschlussprüfung oder ein Vortrag – all das sind Bammelmomente, die man lieber schon hinter sich hätte, noch bevor sie angefangen haben. Genauso habe ich mich kürzlich gefühlt. Alle fünf Jahre werden wir Lokführer und Lokführerinnen zur periodischen Prüfung aufgeboten.

In mündlichen und schriftlichen Tests wird kontrolliert, ob wir uns im Vorschriftendschungel auskennen. Geprüft werden die allgemeinen Fahrdienstvorschriften, ergänzt durch die Betriebsvorschriften der SBB und gewürzt mit vielen Finessen aus Dokumenten zu einzelnen Fahrzeugen und technischen Einrichtungen. Darin steht alles, was zu tun und vor allem zu unterlassen ist.

Qual der Wahl.

Ich sitze vor dem Computer und die erste von über 60 Fragen erscheint. Multiple Choice. Puh! Was? Nein echt jetzt aber … Welche Antwort klingt am seriösesten? – Klick – Nächste Frage. Die ist ja noch schwieriger! Vis-à-vis tippt ein Kollege auf seinem Taschenrechner rum. Das kann nur eines heissen: Bremsrechnung! Genau. Jetzt habe auch ich die Frage auf dem Schirm. R-Bremse oder P-Bremse oder gar G-Bremse? Nachbremse? Denkbremse!

Ich werde immer kleiner und hässlicher. Meine Beine sind so verkrampft, dass ich am Abend Muskelkater habe. Zwei Stunden und ein paar hundert Mausklicks später gibt’s endlich eine Pause, gefolgt von einer kürzeren Prüfung zum Thema ETCS.

Lieber Bürolist?

Katerstimmung. «Welches Bremsverhältnis habt ihr bekommen?» – «R 105%, A 75% oder R 95%»… Na super! Fast jeder ist sich sicher, dass er kaum etwas richtig gemacht hat. Gegenseitig schaukeln wir uns hoch mit den entdeckten vermeintlich falschen Antworten. «Weshalb bloss tue ich mir das an?», denke ich immer wieder und schaue neidvoll in die umliegenden Büros. Für mich ist klar: «Das wird knapp – sehr knapp.»

Das Mittagessen ist bezahlt, inklusive Dessert sogar. Nur leider habe ich einen solchen Kloss im Hals, dass ich auf das Dessert verzichte. Und das will etwas heissen!

Würmer aus der Nase.

14 Uhr. Drei weitere Lokführer und ich sitzen nun den zwei Prüfungsexperten (PEX) gegenüber. Der erste Kollege zieht ein Fragenblatt aus dem Stapel, liest es durch und schaut ziemlich ratlos drein. Nun stottert er etwas. Irgendwie kommt er nicht recht in Gang. Aus seinen Antworten erahnen wir die Frage. Zusammen mit den Würmern, die ihm der PEX aus der Nase zieht, ergibt sich ein Bild, was wohl gemeint war. Ich hätte die gesuchte Antwort auch nicht gewusst.

Meine erste Aufgabe läuft erfreulich. Ein Fallbeispiel. Kollege Meier – bei allen Fragen ist es Kollege Meier – ist fälschlicherweise an einem Signal vorbeigefahren. Ich muss sagen, was ich besser machen würde. «Mini Case» nennt sich das.

Runde um Runde dreht sich das Fragenkarussell. Die Luft wird immer dicker, während die Zeit zähflüssig die Wände runterläuft. Ich will hier raus! Zwei Stunden später sind vier Runden durch. War’s das endlich? Leider nein… Noch drei Einzelfragen pro Person, dann die Erlösung.

Wie Teenager hängen wir, d.h. ein gutes Dutzend Männer und Frauen, im Gang herum und tratschen so lautstark, dass sich ein Bürolist beschwert. Einer nach dem andern wird abgeholt. Zurück kehren stets strahlende Gesichter. Das macht mir Mut.

Jubel der Erleichterung.

Nun bin ich dran. Der Prüfungsexperte fackelt nicht lange: «Gratulation zur bestandenen Prüfung!» «Jaaaaaaaaaaaaaaaa!» schreit es in mir. Ich weiss nicht, wann ich mich zum letzten Mal so über eine bestandene Prüfung gefreut habe! Auch alle andern haben bestanden. Hurra!

Viele Tonnen Anhängelast purzeln ohne Bremsprobe von meinen Schultern ein starkes Gefälle hinunter und missachten dabei sämtliche Vorschriften über ungebremste Schlussgruppen, Teilbremsverhältnisse und protokollpflichtige Vorbeifahrt an Halt zeigenden Signalen…

Danke, liebe Lokomotivführer.

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Seit ich Lokführer bin, ist es sieben Mal Advent geworden. Und jedes Jahr fand ich in dieser Zeit in meinem Spind neben all den nüchternen Zirkularen und Anweisungen ein farbiges, liebevoll gestaltetes Heftchen. Nicht nur ich, sondern alle über 2000 Lokführerinnen und Lokführer bekamen dieses Adventsblatt. Zeichnungen, Gedichte und Weisheiten standen da und brachten uns viel Liebe und Anerkennung entgegen.

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Esther Frisch.

Womit wir bei der zentralen Frage sind: Wer und was steckt hinter all diesen Werken? Von meinen Lokführerkollegen habe ich schon das eine oder andere über Esther Frisch gehört. Aber keiner konnte mir sagen, wann das erste Blatt erschienen ist und vor allem warum!

 

 

 

Vom Eisenbahnvirus.

«Wenn ich hier drücke, fährt der Lift in den ersten Stock. Siehst Du Esthi? Hier in den zweiten. Und hier in den dritten. Und wenn wir hier hinlangen, sind wir beide tot.»

Esther Frischs Augen funkeln spitzbübisch, wenn sie von ihrem acht Jahre älteren Bruder spricht. Sie war damals etwa vier Jahre alt. Ihr Bruder nahm sie mit in den Maschinenraum des Lifts, der gerade erst am Haus installiert worden war. «Verbotsschilder und Absperrungen galten für die Anderen, aber nicht für meinen Bruder.»

Ein Bastler sei er gewesen. Ans Wickeln von Transformatoren erinnere sie sich noch sehr genau, und dass es ab und zu geknallt und gestunken habe und die Sicherungen rausgeflogen seien. Ihr Bruder wollte Lokführer werden. Und damit infizierte er seine kleine Schwester unheilbar mit dem Eisenbahnvirus. Sie wohnten vis-à-vis vom Bahnhof Bern. Gerne sei sie auf der Passerelle gestanden und habe den Tigerli beim Rangieren zugeschaut. «Es gab sogar ein Tigerli mit Pantograph. Kohle war in den Kriegsjahren Mangelware».

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Alia und ich sitzen in Esthers Zimmer im Altersheim in Köniz. Eine Kuckucks- und eine Pendeluhr ticken. An den Wänden hängen selbst gemalte Bilder von Eisenbahnzügen bei Tag und Nacht. In einem Regal steht ein detailgetreues Modell eines Krokodils. «Das habe ich mit vierzehn Jahren gebaut», sagt Esther. «Auch der Lokführer fehlt nicht!»

DSC_0383Ein grosses Schwarzweissfoto zeigt Esther in einer Re 4/4. «Nein, das ist eine Re 6/6», korrigiert sie mich. Ähm, ja… Ist mir jetzt etwas peinlich. Fettnäpfchen Nummer zwei lasse ich mir auch nicht entgehen und frage Esther nach ihrer Lieblingslok. «Meine Lieblingslok? Das ist die Ae 4/7.» Da Alia diesen Loktyp nicht kennt, sage ich: «Das ist eine ziemlich wuchtige Lok. Vier Achsen haben eine Antriebsstange.»- «Nein! Die Ae 4/7 hat keine Antriebsstangen. Die hat das Krokodil. Die Ae 4/7 hat den Buchli-Antrieb.» Ich krame mein Smartphone hervor und suche ein Bild. «Das was Du meinst, ist der Rahmen». Die Frau weiss Bescheid!

«Mein Bruder konnte leider nicht Lokführer werden. Er hatte eine Brille.» – «Wärst Du denn gerne Lokführerin geworden?», frage ich sie. «Ich weiss nicht», sagt sie nachdenklich und winkt ab. «Lokführer ist ein Männerberuf. Frauen haben andere Aufgaben.» Ich widerstehe der Versuchung, ihr zu widersprechen.

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Esthers «Der Weg zum Lokomotivführer» als sie 14 Jahre alt war.

Esther und die Mutmachblätter.

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Das neuste Mutmachblatt.

Heute, im Jahr 2014 erschien das «Mutmachblatt Nr. 34»! Es gibt wohl kaum eine Lokführerin oder einen Lokführer, der Esther Frisch nicht kennt. Ihr Bekanntheitsgrad geht bis in die obersten Etagen. So zeigt sie uns nicht ohne Stolz eine handgeschriebene Karte vom ehemaligen SBB Chef Benedikt Weibel.

 

 

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Das erste Dankesblatt im Jahr 1979

Esther erzählt: «Schon auf den Schulreisen im Zug dachte ich immer, dass doch da vorne ein Lokführer ist. Und keiner denkt an ihn. Manchmal hatte ich fast ein schlechtes Gewissen!»
Da ihr Cousin Präsident der Vereinigung «Eurovapor» war, nahm sie an einem Anlass von Dampfbahnfreunden teil. Während sich die meisten auf die schönen Dampfloks konzentrierten, bemerkte sie, dass weiter hinten die fahrplanmässigen Züge verkehrten. «Die Dampfzüge hier vorne sind Hobby», realisierte sie, «die wirkliche Eisenbahn findet weiter hinten statt. Die müssen bei jedem Wetter, bei Tag und Nacht fahren.»

 

 

Und so begann sie, das erste «Dankesblatt» zu gestalten. Das war im Jahr 1979. Sie liess es drucken und versandte es an eine ganze Liste von zuständigen Personen in den verschiedenen Depots. Das funktionierte gut, jeder Lokführer bekam sein eigenes Exemplar. Heft um Heft folgte. Jedes Jahr.

Ebenfalls danke, liebe Esther!

Mich haben die Heftchen immer berührt. Diese Farbtupfer, die Menschlichkeit und Wärme in der sonst sehr hektischen und kalten Jahreszeit, das ist Balsam für die Seele. Viele Kolleginnen und Kollegen sagten mir, dass es ihnen genau gleich ergeht. Deshalb hatte ich in Bern und Zürich je ein Blatt aufgelegt, wo wer will eine Widmung hinterlassen konnte. Nach vierzehn Tagen waren beide Blätter nahezu vollgeschrieben.

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Eine Kiste voller Dank: 34 Mutmachblätter verstecken sich darin.

Esther strahlt vor Freude, als ich ihr diese Widmungen überreiche. Von Alia, welche für die SBB Kommunikation arbeitet, bekommt sie einen bunten Blumenstrauss und ein SBB Notizbuch. Wir essen zusammen zu Mittag. Die Zeit vergeht wie im Zuge. Alia muss noch ins Büro und ich wieder nach Hause. Wir müssen uns leider schon verabschieden.

Es war ein schöner Besuch. «Ich weiss nicht, ob ich nächstes Jahr wieder ein Blättli schreiben kann», meint Esther. «Vielleicht war das mein letztes…» – «Die letzten vier Blättli waren auch Deine letzten», erwidere ich schmunzelnd. «Ich hoffe, dass es auch nächstes Jahr wieder ein letztes Blättli gibt!»

Esther steht abgestützt auf ihren Gehstock vor dem Eingang des Altersheims und winkt uns noch nach, bis wir um die Ecke biegen. Danke, liebe Esther!

 

Du interessierst dich für den Beruf des Lokomotivführers und möchtest ebenfalls jedes Jahr ein Dankesblättli von Esther Frisch erhalten? Informationen zur Ausbildung zur Lokomotivführerin zum Lokomotivführer und das Bewerbungsformular findest du hier.

 

Winterwunderland: Mit der Lok durch den Schnee.

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Frau Holle hat ihre Kissen wieder ausgeschüttelt. Und wie! Schon die Autofahrt zur Arbeit ist ein kleines Abenteuer. Ich habe mir extra viel Zeit genommen und komme deshalb nicht ins Schleudern, als es auf der Autobahn nur im Schneckentempo vorwärts geht.

Wenig später sitze ich im Führerstand und komme mir vor, als würde ich durch eine Modelleisenbahnlandschaft im Massstab 1:1 fahren. Alles ist verzuckert. Im Rückspiegel sehe ich den grossen Schneewirbel, den ich hinter mir herziehe. Die S5 fährt bei einigen Stationen ohne Halt durch. Für einmal steht niemand zu nahe an der Perronkante. Sobald ich mich nähere, ergreifen die Wartenden die Flucht und verstecken sich im Wartehäuschen oder hinter einer Plakatwand. Das ist auch nachvollziehbar, denn kaum bin ich vorbei, hüllt der aufgewirbelte Schnee den ganzen Bahnhof in eine weisse Wolke.

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Entgegenkommende Züge verursachen genauso wie ich einen kleinen Schneesturm. Im Moment, wo dieser meine Frontscheibe erreicht, sehe ich erst einmal gar nichts mehr. Es braucht einige Sekunden, bis wieder klare Sicht herrscht. Im Bereich von Signalen ist da besondere Aufmerksamkeit gefordert.

Der Abend bricht an. Noch nicht abgehängte Weihnachtsbeleuchtungen schimmern unter der Schneedecke hervor und bringen ein paar warme Lichttupfer in die kalte Landschaft.

 

Über Zuckerwatte fahren.
Die Schneedecke hat etwas Befreiendes. Die ganzen bahntechnischen Anlagen, die nicht besonders hübsch aussehen, sind nun weiss übertüncht. Auch Neben- und Abstellgeleise, die selten benutzt werden, hat der Winter wegretuschiert. Manchmal ist sogar mein eigenes Gleis kaum zu sehen. Nur die beheizten Weichenzungen schlecken schwarze Löcher in die Zuckerwatte.

Nun habe ich Pause. Bei den Kollegen am Lokführertisch im Personalrestaurant herrscht eine zufriedene Stimmung. Zwar gab es am Morgen einige Störungen, doch überwiegt die Freude über den Winter. Er weckt so manches Kind im Manne.

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Bloss nicht durchdrehen.
Mein nächster Zug ist der Intercity nach St. Gallen. Er ist mit zehn Doppelstockwagen bestückt, die zusammen rund 600 Tonnen auf die Waage bringen. Die Räder der Re 460 drehen deshalb bei diesen Wetterbedingungen gerne durch. Das wird durch den «Schleuderschutz» verhindert. Die Zugkraft wird dadurch allerdings reduziert. Der Schleuderschutz spricht auf dieser Fahrt fast permanent an und so braucht es lange, bis ich die gewünschte Geschwindigkeit erreiche. Minute um Minute wächst meine Verspätung. In St. Gallen werden es acht Minuten sein!

Auch die Türen können durch den Schnee beeinträchtigt werden. Kurz nach Winterthur leuchtet plötzlich während der Fahrt die Türlampe auf, die anzeigt, dass mindestens eine Tür offen ist. Ich halte sofort an und kläre ab, was los ist. Alle Türen sind sicher verschlossen. Doch hat Eis bei einem Kontakt eine Störung verursacht. Im nächsten Bahnhof sperrt der Zugbegleiter die betreffende Tür ab.

 

Fliegender Schnee.
Die Temperatur draussen liegt bei rund minus fünf Grad Celsius. Der Schnee ist trocken und feinflockig. Durch den Fahrtwind gelangt er auch ins Bremssystem. Dessen muss man sich immer bewusst sein. Die Bremse reagiert bei Flugschnee verzögert. Immer wieder führe ich daher eine «Bremsprobe auf Wirkung» durch, das heisst ich bremse leicht und warte, bis die Bremse anspricht. So erwärmen sich die Bremsscheiben und bringen abgelagerten Schnee und Eis zum Schmelzen.

Meine Tour beende ich mit einer Runde S-Bahn und stelle den Zug ins Abstellgleis. Es ist morgens um ein Uhr und auf fast menschenleeren, tief winterlichen Strassen fahre ich nach Hause.

Was tut die SBB, damit die Züge auch bei Schnee und Eis möglichst pünktlich unterwegs sind? Ein Überblick über verschiedene Winterdienst-Massnahmen.

Der rote Knopf.

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Sorry, Leute, jetzt hab ich es schon wieder getan! Ich hab den roten Knopf gedrückt. Und damit Liebende getrennt, Schicksale besiegelt, Hoffnungen zerstört und unabänderliche Tatsachen geschaffen. Und wissen Sie was? Diesen Knopf drücke ich immer und immer wieder! Täglich dutzende Male. Bei jeder S-Bahn und jedem RegioExpress.

Von diesem Knopfdruck hängt letztlich auch die Fahrplanstabilität ab. «Warten oder starten?» – diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch meinen Arbeitsalltag.

Wie könnte es anders sein: Das wann und wie der Türschliessung ist in Vorschriften geregelt. Und zwar in der «Betriebsvorschrift SBB Verkehr».

Da steht:

«Die minimale Haltezeit beträgt 15 Sekunden. »

«Die Zwangstürschliessung ist einzuleiten, wenn die Abfahrtszeit erreicht ist und

  • der Fahrgastwechsel offensichtlich abgeschlossen ist oder
  • die maximale Haltezeit von 50 Sekunden verstrichen ist.»

Dass die Türen nicht vor der Abfahrtszeit geschlossen werden dürfen, ist eigentlich logisch. Aber die 50-Sekunden-Regel kann es in sich haben.

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Ich bekomme ab und zu Bemerkungen und Fragen von Fahrgästen mit zum Thema Türschliessung. Gerne möchte ich hier darauf antworten.

«Jetzt sind wir noch am Einsteigen, da schliesst dieser Lokführer schon die Türen. Kann der nicht warten, bis alle drin sind?»

Die Vorgabe ist 50 Sekunden. Reicht das? Jein. Meist reicht es. Je nach Bahnhof und Tageszeit wird deutlich mehr Zeit benötigt. So zum Beispiel in Bahnhöfen mit hohem Passagieraufkommen wie Altstetten, Oerlikon, Hardbrücke oder Stadelhofen. In diesen Fällen kann die Vorschrift nicht sinnvoll umgesetzt werden. Es ist völlig kontraproduktiv, den roten Knopf dann bereits nach 50 Sekunden zu drücken. Es stresst und verärgert die Passagiere und sie werden die Türen am Schliessen hindern. Das kann so weit gehen, dass mir der Bildschirm entnervt eine Türstörung anzeigt, die ich nur beheben kann, indem ich alle (!) Türen wieder freigebe. Zuletzt dauert das dann viel länger, als wenn ich meinen Fahrgästen die nötige Zeit gebe. Doch gerade an diesen Bahnhöfen strömen immer wieder neue Leute zum Zug. Und irgendwann muss ich halt doch den roten Knopf drücken, sonst sind wir morgen noch da…

 

«Eigentlich würde ich den Zug da gerne nehmen. Doch die Drucktaster sind dunkel und ich kann nicht mehr einsteigen. Warum öffnet der Lokführer nicht nochmals die Türen? Fällt ihm dabei ein Zacken aus der Krone? »

Dazu muss ich etwas ausholen.

Sobald ich den roten Knopf – also die Taste für die Zwangstürverriegelung – drücke, ertönt bei den Türen ein Summton und die Lampen blitzen oder blinken. Die Türen beginnen sich zu schliessen. Auch ein Druck auf die Taster kann sie nicht mehr öffnen.

Ist einer Tür etwas im Weg, so merkt dies der Klemmschutz, und sie öffnet sich wieder. Das ist eine Sicherheitsmassnahme. Der Klemmschutz kann aber auch dazu missbraucht werden, eine Tür absichtlich offen zu halten. So ist eine einzelne Person in der Lage, einen ganzen Zug aufzuhalten. Erst wenn alle Türen geschlossen sind, darf und kann ich abfahren. In allen modernen Fahrzeugen wird eine Abfahrt bei offenen Türen elektronisch verhindert!

Würde ich die Türen nochmals freigeben, beginnt der ganze Ablauf von vorne. Nur schon ein einmaliges Öffnen und wieder Schliessen der Tür braucht rund 15 Sekunden. Das klingt nach wenig, ist aber je nach bereits vorhandener Verspätung ein teures Kundengeschenk. Sind wir nämlich mehr als drei Minuten zu spät, wird dies registriert. Kann die SBB die Pünktlichkeitsvorgaben erfüllen, bezahlt ihr der Zürcher Verkehrsverbund einen Bonus. Umgekehrt muss sie einen Malus bezahlen, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Leider ist es ein offenes Geheimnis, dass wir in letzter Zeit nicht mit Pünktlichkeit punkten konnten.

 

«Immer wieder liest man Zeitungsmeldungen, dass Schulklassen beim Einsteigen getrennt wurden. Was denken die sich bei der SBB eigentlich!?»

Nicht immer kann ich als Lokführer den ganzen Zug überblicken. Einerseits sind unsere S-Bahn-Züge bis zu 300m lang. Andererseits sind Bahnhöfe oft leicht gekrümmt. Da sehe ich dann nur einen Teil des Zugs im Rückspiegel. In diesen Fällen versuche ich bei der Einfahrt anhand der wartenden Passagiere abzuschätzen, wie lange der Fahrgastwechsel in etwa dauert. Wenn ich eine Schulkasse oder Wandergruppe sehe, warte ich etwas länger. Was aber, wenn die Personen erst an den Zug kommen, wenn er schon dasteht? Dann drücke ich nach 50 Sekunden quasi blind den roten Knopf. Eine andere Möglichkeit habe ich nicht. Wer eine solche Gruppe leitet, kann ganz wesentlich zum Erfolg der Mission beitragen, indem er die Gruppe anweist, mehrere Türen zum Einsteigen zu benutzen.

 

«Jetzt habe ich mein Letztes gegeben und bin gerannt, was ich konnte, dennoch hat der Lokführer die Türen just vor meiner Nase geschlossen. Das hat der doch extra gemacht!»

Grundsätzlich gilt der Fahrplan zwar für alle, doch nicht jeder ist selber schuld, wenn er zu spät ist. Vielleicht hatte ein Anschlusszug Verspätung?

In der Stosszeit hat der Fahrplan trotzdem immer oberste Priorität. Hinten folgen dicht an dicht die nächsten Züge und ich befördere viele Passagiere. Viele von ihnen sind ebenfalls auf Anschlüsse angewiesen! Da wäre es unfair, wegen einer Einzelperson alle zu verärgern, die pünktlich waren. Der Takt ist mittlerweile so dicht, dass der nächste Zug sicher schon bald kommt. Bitte nicht aufregen!

In den Zwischen- und Randzeiten kann ich mehr Entgegenkommen zeigen. Kleine Verspätungen sind dann eher wieder aufzuholen. Wenn ich sehe, dass sich jemand bemüht, den Zug möglichst rasch zu erreichen, so warte ich bis zu etwa 30 Sekunden. Dazu muss die Person aber in meinem Blickfeld sein.

 

«Der Hund ist drin, die Halterin noch draussen… Das kommt nicht gut! Was tun?»

Der Klemmschutz registriert Objekte ab einer gewissen Dicke. Eingeklemmte dünne Objekte wie etwa eine Hundeleine, ein Schirm oder ein Jackenärmel werden nicht erfasst. Für mich als Lokführer werden in einem solchen Fall die Türen als geschlossen angezeigt und wenn ich die gefährliche Situation nicht sehen kann, fahre ich los. Sollten Sie je eine derartige Situation beobachten, von welcher eine konkrete Gefährdung ausgeht, ziehen Sie die Notbremse. Dafür ist sie da. Ich persönlich würde das auch tun, wenn ein Kind ungewollt von seinen Eltern getrennt wird.

Meine Ausführungen gelten hauptsächlich für den so genannten «kondukteurlosen Betrieb». Bei Fernverkehrszügen sind die Zugbegleiter alleine für die Türschliessung zuständig. Sie fertigen den Zug ab, geben mir die Erlaubnis zur Abfahrt und schliessen die Türen. Es ist mir als Lokführer nicht erlaubt, die Türen auf eigenes Gutdünken wieder freizugeben.

 

 

Glossar.

  • Türfreigabe seitenselektiv: der Lokführer kann die Türen auf der linken und rechten Seite selektiv freigeben. Nun können die Passagiere die Türen mit dem Taster öffnen. Drückt ein Passagier den Innentaster während der Fahrt, öffnet die entsprechende Tür erst, wenn der Zug stillsteht.
  • Zwangstürschliessung: Die Taster im Passagierbereich zum Öffnen der Tür werden dunkel geschaltet. Die Lichtschranken, welche normalerweise die Tür offen halten, wenn jemand in der Tür steht, werden deaktiviert. Die Tür versucht zu schliessen. Einzig wenn etwas in der Tür eingeklemmt wird, geht die Tür wieder auf.
  • «Türschliesstaste»: Drückt der Lokführer die «Türschliesstaste», löst dies die Zwangstürschliessung aus. In der Regel zeigt die Taste durch leuchten oder blinken an, ob noch Türen geöffnet sind oder ob sie zwar geschlossen, aber noch freigegeben sind.
  • Türe blockieren: Die Tür wird blockiert, wenn sie daran gehindert wird, sich zu schliessen.

 

Verliebte unterwegs: Balzrituale im ÖV.

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Die letzten Schneeflecken verschwinden, die Erde bekennt sich zur Farbe Grün und überall spriessen Schlüsselblumen und Primeln. Ich fahre der wärmenden Sonne entgegen in den Westen. Auf dem gestauten Wasser bei Dietikon drehen die Haubentaucher Ihre Köpfe hin und her, bis einem fast schwindlig wird beim Zusehen. Die Vögel zwitschern, während sich die Katzen mehr für ihresgleichen interessieren, was wiederum die Vögel freut. Kurzum: Es ist Frühling. Endlich!

Der geht auch an den Menschen nicht spurlos vorbei. Die winterlichen Isolationsschichten fallen, Männlein und Weiblein werden wieder erkennbar. Und die Hormone erwachen.

Aus dem Führerstand habe ich die ideale Gelegenheit, das Balzverhalten der Menschen im ÖV zu studieren. Anonym und unbemerkt! Meine profunden Erkenntnisse möchte ich hiermit der Welt kundtun.

 

Die Solotänzerin.

Verliebtheit ist nicht an ein Gegenüber gebunden. Sie tritt auch generalisiert ohne erkennbaren Grund auf. So wie Bambi über die Wiese hüpfte und sich am Schmetterling erfreute. Generalisiert Verliebte haben einen federnd leichten Gang. In Lenzburg zieht eine Mittzwanzigerin meinen Blick magisch an. Ihre Gesichtszüge sind entspannt und freundlich. Sie scheint grundlos glücklich. Und weil das sehr attraktiv wirkt, sind ihre Chancen, dass sich jemand in sie verliebt, besonders hoch. Da muss ich gleich selbst aufpassen!

 

Die Magdeburger Halbkugeln.

Der deutsche Physiker Otto von Guericke zeigte in einem Experiment vor 500 Jahren, dass zwei Halbkugeln, aus denen die Luft abgesaugt wird, sich auch nicht durch zwei Pferde wieder trennen lassen. Was er nicht wusste, ist, dass sich zwei heftig verliebte Menschen genau gleich verhalten. Sie kleben aneinander, Mund auf Mund, und der fürsorgliche Beobachter fragt sich, wie die beiden überhaupt atmen können. So wie das junge Pärchen im Bahnhof Bern, welches hinter der Welle an der Sonne auf einen Zug wartet. Auf irgend einen. Vermutlich auf den übernächsten. Oder den darauffolgenden.

 

Die alte Liebe. 

Das Gegenstück zu den Magdeburger Halbkugeln sind ältere Pärchen. Gehen sie normalerweise nebeneinander oder gar hintereinander, so bewirkt der Frühling bei ihnen, dass sie sich nun näherkommen. Dies ist meist subtil und zeigt sich beispielsweise durch Händchenhalten. Gelegentlich kann auch ein verstohlenes  Küsschen beobachtet werden. In Freiburg spazieren eine silbergraue Prinzessin und ihr Prinz mit Béret übers Perron und haben es so gar nicht eilig. Ihre Augen funkeln voller Lebensfreude.

 

Die Asymmetrischen. 

Das Muster ist in der Regel: «Er will, sie nicht.» In Lausanne werde ich Zeuge, wie die begeisterten Liebesbezeugungen eines Mannes seine Freundin richtiggehend in Bedrängnis bringen. Irgendwann wird es ihr zu viel und es kommt zu einen Streit. In einer exotischen Sprache schimpfend und gestikulierend verschafft sie sich ein paar Schritte Abstand. Kurz danach nimmt die Anziehung überhand und beide liegen sich wieder in den Armen. Es ist davon auszugehen, dass solche Beziehungen noch ein bisschen Feintuning erfordern.

 

Die Schaulaufenden.

Interessante Züge nimmt das Gebalze in grossen Bahnhöfen wie Zürich jeweils in den Nächten vom Freitag auf den Samstag und vom Samstag auf den Sonntag an. Der Konkurrenzdruck scheint da besonders gross zu sein und jede/jeder will natürlich die beste Partie für sich ergattern. Junge Frauen verzieren sich deshalb mit dickschichtigem Makeup, überlangen Fingernägeln und Wimpern. Sie stecken in hautenge Hosen, was bei mir teilweise eher den Appetit  auf ein Rädchen Lyonerwurst anregt. Am Interessantesten sind aber die Schuhe. Diese haben so hohe Absätze, dass die Mäuse in der Abstellkammer darauf Rutschbahn fahren. Gehen kann Frau mit solchen Kunstwerken an den Füssen nicht, deshalb wird auch mehrheitlich herumgestanden.

Derart immobilisierte Frauen locken dann die jungen Männchen an, welche sich danebenstellen. Sie haben im Gegensatz zu den Frauen sehr weite Hosen mit tiefergelegter Gürtellinie. Auf dem Kopf sitzt ein «Cap», auf das Stan Laurel neidisch wäre. Obwohl es ja prinzipiell um den Kontakt zum Gegenüber geht, starren die Beteiligten durchwegs auf ein Smartphone. Je grösser sein Bildschirm, desto besser die Chance bei den Frauen. In der anderen Hand leuchtet eine Flasche knallroter Wodka.

Paarungswillige Männer um die 30 sitzen in einem schwarzen BMW. Das Auto steht mit laufendem Motor im Halteverbot Seite Landesmuseum und ist umzingelt von Männern, die sich wohl durch eine Fehlprägung nach dem Schlüpfen mehr für Autos als für Frauen interessieren.

 

Die Fernbeziehung. 

Hast du gewusst, mit Smartphones kann man sogar telefonieren! Diese Funktion, welche normalerweise kaum mehr genutzt wird, erlebt im Frühling eine Renaissance. Da wird geplappert und «geschnädderet». Und das immer mit einem Lachen im Gesicht. Für einmal sind sogar bei den violett bekleideten, feinstofflich geschwungenen Damen die Natelstrahlen vergessen!

 

Jaja, der Frühling! Habe ich noch einen Balztyp vergessen? Dann teile uns deine Erkenntnisse im Kommentarfeld mit!

 

Warum Züge manchmal Verspätung haben.

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«…Grund dafür sind Tiere in Gleisnähe», meldet die Wortschnipselstimme via Lautsprecher den wartenden Fahrgästen. «Diese faulen Ausreden werden immer grotesker», sagt ein älterer Herr zu seiner Frau.

Verspätungen sind nervig. Für die Passagiere, für uns Bahnangestellte und vermutlich sogar für den lieben Gott. «Wieso können die nicht einfach pünktlich sein, Herrgott nochmal!», wird er dann oft angerufen, wobei der Fragende wohl kaum eine Antwort von oben erwartet.

Die Gründe für Verspätungen sind zwar gelegentlich höhere Macht, wenn zum Beispiel ein Baum auf eine Fahrleitung fällt oder ein Erdrutsch die Strecke unpassierbar macht. In der Regel sind die Ursachen aber irdischer oder gar unterirdischer Natur.

 

Schneckentempo wegen Hund.

In erstgenannten Beispiel hatte sich ein Hund von seiner Meisterin losgerissen und ist durch den Tunnel vom Zürcher Tiefbahnhof Museumstrasse ins Freie geflüchtet. Alle Züge verkehrten mit «Fahrt auf Sicht», das heisst im Schneckentempo. Dadurch gab es einen Rückstau. Zug um Zug musste warten, bis der vorausfahrende Zug das Perron freigegeben hatte. Die Verspätungen lagen im Bereich von zehn Minuten, was leider bereits reicht, um einen Anschlussbruch zu verursachen.

Rückstaus kann es auch auf offener Strecke geben. Wird beispielsweise bei einer Routinekontrolle festgestellt, dass ein Gleisabschnitt nicht mehr mit der Höchstgeschwindigkeit befahren werden kann, muss eine Langsamfahrstelle signalisiert werden. Die typischen Geschwindigkeiten sind dann 50 km/h oder 80 km/h. Auf dicht befahrenen Abschnitten, wie beispielsweise Dietikon‒Killwangen-Spreitenbach, Lausanne‒Genf oder Aarau‒Olten werden die Auswirkungen für die Passagiere bemerkbar. Langsamfahrstellen werden auch bei Bauarbeiten aufgestellt. Vielleicht hast du schon mal eine Serie von orange blinkenden Lichtern festgestellt. Hier werden Geleise oder Brücken instandgehalten!

 

Aussen Cadillac, innen Rasenmäher.

Verspätungen im Bereich von wenigen Minuten sind in den Stosszeiten an der Tagesordnung. Denn eine hohe Anzahl Passagiere benötigt länger, um ein- und auszusteigen. Und volle Züge beschleunigen weniger schnell. Als Lokführer spüre ich sehr deutlich, ob mein Zug nur wenige Fahrgäste befördert oder pumpenvoll ist. Nieselwetter kann die Reibung zwischen den Rädern der Lok und den Schienen verringern. Meine 8000 PS-Lok fühlt sich dann an wie ein Cadillac mit Rasenmähermotörchen.

Der Klassiker unter den Verspätungsverursachern ist die Stellwerkstörung. Unter diesem Begriff wird alles zusammengefasst, was mit dem eigentlichen Stellwerk, den Signalen, Weichen und deren Überwachungen zu tun hat. Eine Stellwerkstörung bedeutet, dass eine Sicherheitseinrichtung einen unzulässigen Zustand meldet. Und dann wird nicht gefahren. Basta. Teilweise liegt tatsächlich eine Störung vor, beispielsweise eine Weiche, die nicht richtig in die Endlage geht. In anderen Fällen liegt das Problem bei der Überwachung an sich. Keine noch so kleine Abweichung vom Sollzustand wird toleriert. Es geht schliesslich um nichts Geringeres als die Sicherheit von Tausenden von Passagieren und um Millionen von Franken.

 

Gestörte Türen, gestrandete Zugbegleiter.

Ähnliches gilt für Störungen am Zug. Die Türen an den Wagen sind extremen Belastungen ausgesetzt. Sie öffnen und schliessen sich täglich hunderte bis tausende Male. Ob sie geschlossen sind, wird elektronisch überwacht, denn mit offenen Türen darf nicht gefahren werden. Ein kleiner Spalt von wenigen Millimetern reicht, und die Tür wird als offen registriert. Kein elektronisches Bauteil ist 100%-ig zuverlässig, auch nicht die Kontakte in der Türüberwachung. Wenn von all diesen Schaltern ein einziger ausfällt, bleibt der ganze Zug stehen, bis die entsprechende Türe verriegelt und abgesperrt ist.

Manchmal geht’s drunter und drüber. Wenn neuralgische Streckenabschnitte nicht oder nur teilweise befahrbar sind, breiten sich Verspätungen wie eine hochansteckende Seuche über weitere Gebiete aus. Dann fehlt plötzlich in Zürich der Intercity, welcher nach St. Gallen fahren müsste. Oder in Bern warten die Passagiere auf den Zug nach Brig. Der Lokführer für die S-Bahn nach Allaman steckt im ICN von Delémont fest oder die Zugbegleiter nach Luzern sind in Ziegelbrücke gestrandet. In den «Lenkungen» (Echtzeitdisposition) für Personal und Rollmaterial sowie in den Betriebszentralen herrscht Hochbetrieb, um die Auswirkungen möglichst gering zu halten.

 

Lokführer auf der Ersatzbank.

Damit ein Zug fährt, muss so einiges zusammenkommen. Nicht zuletzt muss auch das Personal vorhanden sind. Fehlt der Lokführer, beispielsweise weil er mit dem Auto in einem unvorhersehbaren Stau feststeckt, so heisst es dann im Lautsprecher: «Grund dafür ist eine kurzfristige Änderung im Personaleinsatz.»

In den grösseren Bahnhöfen gibt es Reservezüge, die jederzeit als Ersatz bereitstehen. Und auch Ersatzpersonal. So wie ich im Moment «auf der Reserve» sitze und zum Glück nichts anderes zu tun habe, als diesen Blogartikel zu schreiben. Doch das kann sich jederzeit ändern. Mein Telefon könnte klingeln, ich würde mehr oder weniger dringend für eine Fahrt aufgeboten und aus dem Lautsprecher hiesse es dann möglicherweise: «Wir bitten um Verständnis!»

 

Mythos Gotthard.

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«Der heilige Berg» wird der Gotthard unter uns Lokführern genannt. Scherzhaft zwar, aber doch auch irgendwie ernst gemeint. Und wer über den heiligen Berg fahren darf (resp. durch den Tunnel), der erntet Respekt. Ich zähle leider nicht zu dieser Gilde…

Dafür bin ich jetzt unterwegs, um die Züge zu filmen, wie sie sich durch die Gebirgslandschaft schlängeln. Der Föhn zeichnet Wellenmuster in die Wiesen und lässt die zartgrünen Blätter an den Bäumen rauschen. Aus dem Tannenwald steigt eine gelbe Staubwolke auf: Blütenstaub.

 Gotthard Nord

 

Eine Drohne, die vom Winde verweht wird.

Die vier Motoren meiner Videodrohne heulen auf und ich lasse das Fluggerät steil nach oben steigen. Bravo! Wacker kämpft sie gegen die Windböen. Dank GPS, Kompass und Bewegungssensoren hält sie sich stabil in der Luft. Der Interregio von Locarno rauscht aus dem Tunnel in die berühmte Wattinger Kurve. Ich jage ihm meinen Multikopter hinterher. Auf dem Bildschirm kann ich genau beobachten, was die Kamera sieht. Diese Bilder werden toll! Doch was ist jetzt? Die hat ja ein Mords-Tempo! Sie ist jetzt beinahe so schnell wie der Zug und ich sehe sie nur noch als kleinen Punkt am Himmel. Was ist los? Oh nein! Die Drohne hat wohl wegen der steilen Berge das GPS-Signal verloren und wird nun vom Wind weggetragen!

 

Heute und gestern.

Beim Wort «Gotthard» denken die meisten Leute wohl zuerst an den vor fast genau 133 Jahren eröffneten Eisenbahntunnel zwischen Göschenen und Airolo. Dass dieser Tunnel für die damalige Zeit eine unglaubliche Leistung war, ist unbestritten. Dabei handelte es sich um ein schier unmögliches Vorhaben, das unter grossem finanziellen sowie unter Zeitdruck erstellt werden musste. Darunter litten in erster Linie die Arbeiter, die unter miserablen Bedingungen lebten und schufteten. Knapp zweihundert kamen bei Unfällen ums Leben. Vier wurden bei einem Streik erschossen! Louis Favre, der Tunnelingenieur, verstarb noch während der Bauzeit mitten im Tunnel an einem Herzversagen.

 

Ein Zug, der Pirouetten dreht.

Ich suche mir schöne Fotostandorte und staune über die Zubringerstrecken mit ihren Brücken und Kehrtunnels. Züge verschwinden im Berg, machen eine Pirouette und erscheinen wieder praktisch am gleichen Ort, jedoch etliche Höhenmeter weiter oben. Es ist ein Verwirrspiel sowohl auf der Nord- wie auf der Südseite. Ich konnte bis am Schluss meiner Dreharbeiten nicht zuverlässig voraussagen, aus welchem Loch der Zug wieder auftauchen würde.

 

Das Gelände ist so unwegsam hier! Die Arbeiten müssen äusserst schwierig gewesen sein. Weder gab es eine Autobahn für Materialtransporte, noch konnten die Ingenieure auf technische Hilfsmittel zählen, wie wir sie heute kennen. Computer für Berechnungen?  Gab‘s erst rund 80 Jahre später. Laser? Gibt’s seit 1960. Betonpumpen? Die kamen 40 Jahre zu spät. Präzise Karten, die auf Luftaufnahmen basieren? Um ein paar Jahre verfehlt! Und GPS? GPS ist erst seit rund 30 Jahren in Betrieb.

 

Glück gehabt!

Heute ist es ein Klacks, Luftaufnahmen zu machen. Ausser eben das GPS versagt… Jetzt bloss nicht die Nerven verlieren! Fliegerisches Können ist gefragt. Ich drehe die Drohne um 180° und lasse sie volle Kraft voraus wieder in meine Richtung fliegen. Sie neigt sich tief nach vorne und kämpft wie eine wild gewordene Hornisse gegen den Wind. Langsam kommt sie näher und schon höre ich auch wieder das Heulen der Rotoren. Nach einigem Hin- und Herpendeln knapp über dem Strässchen, wo ich stehe, bringe ich sie an den Boden. Nicht sehr elegant zwar, aber immerhin steht sie jetzt wieder stabil auf den beiden Stützen. Ich lege die Fernsteuerung hin und trockne meine schweissnassen Hände an der Luft. Mein Herz klopft, als hätte ich selbst in einem Flugzeug gesessen…

 

Ein Lokführer, der das Gotthard-Virus hat.

Das hält mich aber nicht davon ab, nach einer kurzen Pause weitere Flüge zu machen. Das Gotthard-Virus hat mich befallen! Ich will mehr, und so lege ich noch einen zweiten Drehtag ein. Ausserdem unternehme ich eine Führerstandsfahrt nach Locarno und zurück. Die besten Bilder habe ich in die beiden Videos gepackt.

 

In fast genau einem Jahr wird sich hier vieles ändern. Mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels verliert die Bergstrecke an Bedeutung. Der Verkehr wird abnehmen. Der Mythos Gotthard aber wird bleiben.


Stufe Drei.

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Es scheint, die Schweiz sei in einen Backofen gesteckt worden. Türchen zu und dann backen bei Gluthitze für 16 Stunden pro Tag, bis alles schön knusprig ist.

Menschen und Tiere verkriechen sich während der heissen Zeit wenn irgendwie möglich an einen kühlen Ort. Und ich bin sicher, wenn Schienen, Fahrleitungen und Loks sprechen könnten, sie würden sich ebenfalls über die Hitze beklagen und am liebsten nach Narvik, an den nördlichsten Bahnhof Europas auswandern.

Als Lokführer habe ich es meist besser. Die Führerstände aller regulären Züge sind klimatisiert. Oder sollten es zumindest sein. Vor ein paar Jahren waren mangels Ersatzteilen rund 1/3 der alten S-Bahn-Kompositionen mit defekter Klimaanlage unterwegs. Aktuell sind solche Fälle eher selten.

Und da gibt es noch die Züge, bei denen gar keine Klimaanlage eingebaut ist. Beispielsweise die Dispozüge, die im Gleisfeld an der brütenden Sonne auf einen Einsatz warten. Auf dem Steuerwagen wird es da extrem heiss. Die metallenen Teile berührt man besser nicht.

Ganz unproblematisch sind aber auch die Klimaanlagen nicht. Ein dauernder Eiswind im Nacken ist nicht unbedingt ideal für einen geschmeidigen Bewegungsapparat. Manchmal ist die Kühlwirkung auch so stark, dass man beim Betreten des Führerraums fast erstarrt. Freeeeeeze! Ja und da ist auch noch die Geräuschkulisse, die nicht zu unterschätzen ist. Bei den modernen Fahrzeugen regelt sich der Luftstrom je nach benötigter Kühlleistung. Es braucht nicht viel Fantasie, um darauf zu kommen, dass zur Zeit die Anlagen heulen wie Düsentriebwerke.

Lärm produzieren auch die Loks. Kräftige Ventilatoren saugen Luft über Dacheinlässe an und kühlen so elektrische Komponenten und die Fahrmotoren. Momentan läuft so ziemlich alles auf Stufe drei. Ein Teil der Luft wird in den Maschinenraum abgezweigt, damit Staub und Nässe draussen bleiben. Dieser Anteil ist bei Stufe drei so gross, dass man die Türe wegen des Luftdrucks nur mit einigem Kraftaufwand öffnen kann.

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Die Gleisfelder mit den dunklen Schwellen und der fehlenden Vegetation sind die reinsten Sonnenkollektoren. Als Lokführer bin ich dort ebenfalls anzutreffen. Doch mein Ziel ist fast immer ein gekühlter Führerstand. Ganz anders sieht das bei den Technikern, Gleisarbeitern und Sicherheitswärtern aus. In ihren orangen Warnkleidern müssen sie eine unglaubliche Hitzetoleranz aufbringen. Die Gleisarbeiten können nicht einfach verschoben werden, denn gewisse Schäden treten wegen der Hitze überhaupt erst auf.

Lägen die Schienen unbefestigt auf dem Boden, so würden sie sich bei steigender Temperatur ausdehnen. Und zwar nicht wenig! Ein Plus von 30°C würde pro Kilometer Schiene eine Längenzunahme von 36 cm bedeuten.

Auch der Fahrdraht dehnt sich aus. Dieser darf das aber. Er wird am Ende eines Abschnitts über eine Rolle geleitet und durch ein schweres Gewicht stetig unter Zug gehalten. So werden die Längenänderungen aufgefangen. Die kürzlich aufgetretenen Fahrleitungsschäden hatten andere Ursachen als die Längenausdehnung.

Wer die Hitze schlecht verträgt, sollte bei der Wahl des Zugs auf den Zugstyp achten. Die Fernverkehrszüge sind klimatisiert. Ebenso die neuen S-Bahnzüge. Bei den S-Bahnen der ersten Generation sollte man sich die Wagen genau anschauen. Etliche Kompositionen sind bereits mit einem Niederflurwagen ausgerüstet. Man erkennt das am einfachsten an den Tritten, die nicht herunterklappen, sondern ausfahren. Diese Wagen sind gekühlt.

Als Fahrziel empfehle ich Orte mit einer Badi …

Was können Lokführer gegen Verspätungen tun?

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Wird dies mein kürzester Blogbeitrag? Denn die Antwort auf die Frage «Was können Lokführer gegen Verspätungen tun?» ist einfach: nichts.

«Fahren Sie langsam, ich habe es eilig», soll Winston Churchill angeblich einmal seinem Chauffeur gesagt haben. Wie recht der Mann doch hatte!

Ich kenne ziemlich viele Verkehrsmittel. Ich gehe zu Fuss, fahre Auto, Velo, Rollerblades, Langlaufskis, Flyer, Pedalo, schiebe Migros-Wägeli und ich bin sogar schon mal auf einem Elefanten geritten. Egal, wie man sich normalerweise fortbewegt, meist hat man eine gewisse Autonomie, wie man das tut. Man kann drängeln, überholen, schneller fahren, rennen statt gehen. Dem Elefanten verspricht man ein paar saftige Bananen.

Als Lokführer fehlen all diese Möglichkeiten. Zeigt das Signal «Halt», so zeigt es halt «Halt». Und es geht auch nicht schneller auf Fahrt, wenn man nervös an einem Schalter herumfummelt.
Geschwindigkeiten müssen eingehalten werden, und zwar immer und jederzeit. Da gibt es keine Luft nach oben. Wenn ich Glück habe, bietet der Fahrplan ein wenig Reserve, durch welche die Verspätung abgefedert wird.

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Passagiere kann man nicht mit dem Stössel in den Zug stopfen. Sie brauchen zum Ein- und Aussteigen so lange, wie sie eben brauchen. Und wenn jemand findet, sein Kollege müsse jetzt noch ein Billett lösen, und deswegen die Tür aufhält, so bleibt ausser einer Durchsage nicht viel Spielraum.

Hat der Zug null Bock auf gar nichts, zum Beispiel weil eine Tür ständig auf- und zu geht, oder weil seine Elektronik ein Problem hat, so steht er wie der Esel am Berg.26.3_0017_12_41781

Unser Auftrag ist es, Züge «sicher, pünktlich und komfortabel» zu führen. So schreiben es die Fahrdienstvorschriften vor. Was bedeutet das im Alltag? Sicherheit steht zuoberst. Alles, was die Sicherheit gefährdet, hat in einem Führerstand nichts zu suchen. Dazu zählen auch gedankliche Ablenkungen wie der Ärger über eine Verspätung. Anders ausgedrückt ist es ein Zeichen von Professionalität, wenn mich als Lokführer Verspätungen nur wenig beschäftigen.

Gelassen bleiben heisst es erst recht, wenn der Lokführer die Verspätung selbst verursacht hat. Beispielsweise, indem er sich im Abfahrtsgleis oder in der Zeit geirrt hat. Abregen, sich sammeln und die Konzentration wieder aufbauen, heisst es dann. Und später in Ruhe analysieren, wie der Fehler in Zukunft vermieden werden kann.

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Psychologisch betrachtet, kann Verspätungen sogar etwas Gutes abgerungen werden. Sie dienen der Persönlichkeitsentwicklung! Ganz nach dem Motto:

«Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.» (Gelassenheitsgebet)

#meinzug: Lokführerinnen und Lokführer zeigen ihr Gesicht.

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Steivan Steiner arbeitet seit dem Jahr 2008 als Lokführer bei der SBB. Sein aktueller Arbeitsort ist das Depot Zug. Dabei bedient er vor allen die Linien der Zentralschweiz, fährt aber auch nach Basel, Ziegelbrücke und Winterthur. Steivan hat auf Facebook und Instagram eine Aktion gestartet. Lokführerinnen und Lokführer sollen ein Selfie schiessen und mit dem Hashtag #meinzug versehen.

Steivan, was ist das Ziel der Aktion?
Mein Ziel dieser Aktion ist es, den Pendlern und Zugfans zu zeigen, wer die Züge fährt und das Klischee vom älteren grummligen einsamen Herrn aus der Welt schaffen. Denn immer mehr junge Leute aus vielen unterschiedlichen Berufsgruppen wählen den Beruf des Lokführers oder der Lokführerin.

Wann und wieso ist dir die Idee gekommen?
Am 4. November dieses Jahres, als ich den Interregio Luzern–Zürich fuhr und ich bei der Einfahrt viele Leute auf dem Perron gesehen habe, die probiert haben, vorne reinzuschauen. Auch von Freunden und Bekannten habe ich schon oft gehört, dass es sie wunder nehme, wer denn so «ihren Zug» fahre.

Wie konntest du Kolleginnen und Kollegen motivieren, mitzumachen?
Das hat sich so aus einem Jux ergeben. Ich habe mich vor meinem Zug fotografiert und das Bild auf Facebook gestellt. Danach wurde es schnell ein Selbstläufer, viele Freunde posteten ihre Bilder in mein Profil und schrieben viele gute Kommentare. So wurde der Hashtag #meinzug in die Lokführerwelt getragen.

Die Aktion wurde auf der Facebook-Seite der SBB erwähnt und hat sehr viel positives Echo ausgelöst. Hat dich das überrascht?
Ja sehr! Zuerst hat es mich überrascht, dass die SBB dies überhaupt geteilt hatte. Danach hatte ich mich sehr darüber gefreut, dass es anscheinend eine Aktion ist, die von vielen geschätzt wird. Auch die vielen positiven Kommentare wie «Danke, Ihr macht einen guten Job» haben mich sehr stolz gemacht. In letzte Zeit gab es ja viele negative Schlagzeilen und Kommentare über Verspätungen und Störungen.

Denkst du, dass die Aktion #meinzug etwas verändert? Welche Wirkung würdest du dir wünschen?
Verändern kann ich nicht sagen, aber eventuell gibt es ein Verständnis dafür, dass wir auch nur Menschen sind, die Ihren Job machen. Wir fahren viele Leute von A nach B, haben eine grosse Verantwortung, und wir machen dies mit grossem Ehrgeiz und grosser Motivation. Als Wirkung würde ich mir wünschen, dass einen nicht so viele böse Gesichter am Perron anschauen, wenn man mit dem Zug verspätet einfährt.

Was fasziniert dich am Lokführerberuf?
Das Faszinierende an diesem Beruf sind die Technik, die Maschinen – und diese grosse Verantwortung zu tragen. Jeden Tag am Geschehen dabei zu sein und das Wissen, die Leute sicher von A nach B gefahren zu haben. Die Jahreszeiten und Landschaften so deutlich mitzubekommen und auch zu spüren. Für mich nach wie vor ein Traumberuf.

Du warst früher Koch. Gibt es Parallelen zum Lokführerberuf?
Ausser den Arbeitszeiten gibt es nicht so viele Parallelen. Die Kreativität, die ich früher beim Kochen hatte, hole ich mir in meiner Freizeit. Ich geniesse an der Arbeit bei der Bahn vor allem, dass es geregelter und weniger von Stress geprägt ist. Ich geniesse es, nach Hause zu gehen und dann für meine Familie zu kochen. Es ist mein optimaler Ausgleich.

Danke, Steivan, für Deine Auskünfte!

Anklicken um

Um auf die Bilder zugreifen zu können, benötigst du einen Account bei Facebook oder Instagram. Gib dort in der Suchzeile den Hashtag #meinzug ein. Die Anzahl der Bilder, die du siehst, hängt von den Privatsphäre-Einstellungen ab, die beim Veröffentlichen der Bilder eingestellt wurden.

 

Übernimm auch du die Spitze des Zuges.

Wir suchen angehende Lokführerinnen und Lokführer in der ganzen Schweiz. Während der Ausbildung sind Sie bei uns angestellt und erhalten einen Ausbildungslohn und Sozialleistungen. Ideale Kandidatinnen und Kandidaten haben eine abgeschlossene Berufslehre oder Matura, sind fit in einer zweiten Schweizer Landessprache und bereit, auch unregelmässig zu arbeiten.

Du findest weitere Informationen, offene Ausbildungsstellen und Daten der Informationsveranstaltungen unter sbb.ch/lokpersonal.

Kalenderbilder.

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Ich habe mir fürs neue Jahr einen Kalender bestellt. Jeden Monat sehe ich ein prächtiges Eisenbahnbild. Der Zug ist sauber gewaschen, die Landschaft strahlt in weiss, grün oder in bunten Farben. Alles ist perfekt. Schon klar, die Realität ist in den allermeisten Fällen weniger aufgehübscht. Doch Kalenderbilder wollen etwas anderes. Sie wollen zeigen, wie es sein könnte. Die Crème de la Crème der Erinnerungen wird zu Hoffnung und Wunsch für das kommende Jahr.

Aus naheliegenden Gründen kann ich während meiner Arbeit keine Fotos schiessen von solchen Kaisertagen. Doch ich kann sie in der Erinnerung behalten. Weshalb nicht einmal im Gedächtnis rumwühlen und die gespeicherten Kalenderbilder fürs Jahr 2016 zusammensuchen?

Hier ist mein ganz persönlicher Erinnerungskalender:

 

Januar:
Ich bin mit einem Fanzug von St. Gallen nach Zürich unterwegs. Die Fans haben sich ausgetobt, sind müde und lassen mich ungestört fahren. Mit 40 km/h – vor mir fährt ein Thurbo – tuckere ich durch eine glitzernde Landschaft. Der Mond grüsst durchs Seitenfenster in die Kabine.

Februar:
Ich bin in meinem Sprachaufenthalt in Lausanne. Die Frühtour beginnt in Palézieux. Mein Taxi fährt hinter einem Schneepflug. Den Bahnhof von Paléziex erkenne ich kaum wieder. Ich bin der erste, der seine Spuren in den Schnee stapft. Der Domino-Zug ist anegehm warm, als ich in den Führerstand steige.

März:
Die Natur erwacht langsam. Ich fahre über den Lorraineviadukt kurz vor Bern. Die Sonne strahlt vom tiefblauen Himmel, links zeigen sich die Berner Alpen mit verzuckerten Kappen. Davor das Münster. Zwischen den kahlen Ästen leuchten gelb die Forsythien.

April:
Eine Fahrt durch die Ostschweiz hat im Fühling einen besonderen Reiz. Zwischen Wil und Gossau blühen hunderte Apfelbäume. Die Wiesen sind übersät mit Löwenzahn und lila Wiesenschaumkraut. Dahinter reckt sich majestätisch der blendend weisse Säntis in den Himmel.

Mai:
Saftig Grün ist die Welt geworden. Auf den Ziegeleiweihern bei Bonstetten-Wettswil spiegelt sich das junge Laub der Birken. Haubentaucher balzen, ein Kormoran trocknet seine Flügel. Ein Rapsfeld wird zum gelben Blütenmeer.

Juni:
Der Sonnenstand ist ideal für eine Filmfahrt über den Gotthard und wieder zurück. Die Reuss sprudelt über die rundgeschliffenen Felsen. Sympathische weisse Wattebäuschchen verzieren den Himmel. Auf der Südseite flimmern die Gleise und die Palmen an den Hängen wecken Feriengefühle.

Juli:
Soeben noch war ich in einem kräftigen Regenschauer unterwegs. Sturzbäche ergossen sich über die Scheiben. Doch nun ist der Himmel aufgerissen und ein doppelter Regenbogen leuchtet vor dunklen Wolken. Ich fahre mit 125 km/h durch Schwerzenbach und schnustracks auf den rechten Fuss des Regenbogens zu. Ob diese Geschwindigkeit reicht, um ihn zu erreichen und den Schatz zu bergen?

August:
Die Badi bei Nottwil am Sempachersee ist voll belegt. Alle zieht’s ans Wasser. Ich bin auch bald zu Hause und freue mich auf einen Schwumm im Türlersee.

September:
Von Lausanne fahre ich heimwärts durch das Lavaux. Es ist der 28. September 2015. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages sind vor Kurzem erloschen und der Abendhimmel zeigt sich in Pastelltönen. Bei Bossiere wird der Blick freigegeben auf den Genfersee und die Alpen. Der volle Mond erhebt sich golden zwischen den Bergen Tour de Mayen und Tour d‘ Aï. Er ist riesig! Schade, dass ich der einzige auf diesem Zug bin, der das sehen kann!

Oktober:
Die Rebberge am Bielersee sind ein wahres Farbenfest und zeigen sich in allen Nuancen von gelb nach rot bis violett. Die Sonne hat ihre Härte verloren. Sanft und warm strahlt sie vom Himmel. Mein ICN gondelt dem Ufer entlang. Was farbig ist, wirkt jetzt noch farbiger. So auch die beiden entgegenkommenden ICN, die einfach perfekt in die Landschaft passen.

November:
Die Nächte sind lang, die Tage kurz. Ich bin öfter in der Dunkelheit unterwegs als bei Tageslicht. Zum Glück! Ich fahre auf der Neubaustrecke von Bern nach Olten. Das Licht in der Führerkabine ist gedimmt. Am Himmel sehe ich die Sterne und erkenne den grossen Wagen. Plötzlich fliegt ein hell leuchtender Punkt quer über das Firmament. Er zieht einen Schweif hinter sich her, der langsam erlischt. Ich habe eine Feuerkugel der Leoniden beobachtet!

Dezember:
Fertig Sonne. Nebel quält uns Mittelländer seit Tagen. Es fehlt nicht viel, manchmal ist eine Sonnenscheibe sichtbar. Doch so richtig befriedigend ist das nicht. Kurz nach Freiburg lassen wir den Nebel hinter uns. Der Abendhimmel lodert rot. Davor die schwarzen Silhouetten von Bergen und kahlen Bäumen. In den Senken halten sich kleine Nebelfelder. Das Schloss von Romont erscheint am Horizont und wird immer grösser.

 

Wie sieht Dein Erinnerungskalender aus?

Die Notbremse.

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Neulich befreite ich einen leicht angeheiterten Nachtschwärmer aus einem geschlossenen Zug am Perron. Er hatte sich kurz vor der Türschliessung hineinbegeben, wohl um die Toilette aufzusuchen. Als ich mich von aussen der Tür näherte, hörte ich ein Pfeifen. Auf der Plattform war es ohrenbetäubend laut. Mir war rasch klar, dass der junge Mann die Notbremse gezogen hatte in der Hoffnung, so die Türen öffnen zu können. Komischerweise erinnerte er sich nicht mehr daran, dies getan zu haben …

Nicht immer wird die Notbremse aus so harmlosen Gründen gezogen.

Am 16. April 1991 bemerkte eine Frau einen Brand in einem Wagen einer S9 der noch jungen Zürcher S-Bahn. Sie zog die Notbremse und brachte damit den Zug im Hirschengrabentunnel zwischen Stadelhofen und Zürich Hauptbahnhof zum Stehen. Die Fahrleitung wurde durch das Feuer beschädigt, wodurch ein anderer Zug ebenfalls steckenblieb. Rasch entwickelte sich dichter Rauch. 140 Passagiere mussten zu Fuss aus dem Tunnel flüchten. Viele Passagiere erlitten Rauchvergiftungen. Wie durch ein Wunder wurde niemand schwer oder gar tödlich verletzt. Die Brandspuren sind auch heute noch deutlich am Tunnelgewölbe sichtbar.

Wann bremst die Notbremse?

Dieses Ereignis führte zur Erkenntnis, dass eine sofort wirkende Notbremse viel Schaden anrichten kann, wenn sie im falschen Moment gezogen wird. Denn meist ist es nicht sinnvoll, dass ein Zug irgendwo im Nirgendwo stoppt. Am wenigsten in einem Tunnel oder auf einer Brücke. Deshalb sind in der Zwischenzeit Notbremsen durch so genannte «Notbremsanforderungen» ersetzt worden. Was passiert nun aber, wenn diese Notbremsanforderung gezogen wird?

Im Stillstand und unmittelbar nach der Abfahrt wird sofort eine Schnellbremsung ausgelöst. Der Zug kann nicht abfahren oder hält an.

Zieht jemand während der Fahrt die Notbremsanforderung, so ertönt im Führerstand ein Signalton und eine rote Lampe blinkt. Im Fahrgastraum wird eine Durchsage ausgelöst und der bereits erwähnte Pfeifton schaltet sich ein. Normalerweise werde ich als Lokführer den Zug nun sofort anhalten. Eine automatische Schnellbremsung erfolgt erst mit einer Verzögerung von ein paar Sekunden, vorausgesetzt ich habe die Notbremsung nicht überbrückt. Ja, das ist richtig! Lokführer/-innen können mit der Notbremsüberbrückung den Tunnel oder die Brücke verlassen, um den Zug an einer besser geeigneten Stelle zum Stillstand zu bringen.

Jedes Mal, wenn ich in einen Tunnel oder auf eine Brücke fahre, überlege ich mir, was ich im Notfall tun würde. Wie lange ist der Tunnel? Gibt es Rettungsstollen? Welche Handlungen würde ich noch während der Bremsung vornehmen? Es ist wichtig, solche Dinge im Voraus zu überlegen und zu verinnerlichen.

Vom Schlimmsten ausgehen.

Als Lokführer bin ich in einer Notsituation sehr gefordert. Ich durfte das einmal in einer Simulation üben und selbst da bekam ich etwas Herzklopfen. Zwei der wichtigsten Massnahmen sind «drei Mal rot» sowie ein Notruf, der sowohl von Lokführern in der Nähe als auch vom Fahrdienst mitgehört wird. Dazu kommen technische Handlungen, wie z.B. den Strom für die Zugsheizung auszuschalten oder eine Geschwindigkeitsreduktion auf 80 km/h. Grundsätzlich muss immer vom Schlimmsten ausgegangen werden.

Wann darf man die Notbremse ziehen?

Im Allgemeinen Personentarif (T600) steht dazu folgendes:

«Die Notbremse darf nur im Falle der Gefahr für die Sicherheit des Zuges, der Reisenden oder anderer Personen gebraucht werden. Bei Feuer in Tunnels darf die Notbremse nicht benützt werden, ausgenommen bei entsprechend gekennzeichneten Fahrzeugen mit Notbremsanforderung.»

 

Immer, wenn Gefahr droht, kann die Notbremse nützlich sein. Zwei Beispiele:

Ein Blogleser hat mir geschildert, dass ein Passagier derart eingeklemmt war, dass der Rucksack draussen und der Mann drinnen war. Da der Rucksack aus dem Lichtraumprofil des Zugs ragt, könnte es zu einer Kollision mit einem andern Zug oder einer Signalisationstafel kommen. Da muss rasch gehandelt werden, bevor der Zug abfährt. Notbremsanforderung ziehen!

Ich beobachtete einmal aus dem Führerstand einen Rollstuhlfahrer, der mit dem Rad in den Spalt zwischen Schiebetritt und Perronkante geraten und umgekippt ist. Nicht immer kann der Lokführer den ganzen Zug überblicken. Ein Passagier, der in einer solchen Situation beherzt den roten Griff zieht, kann damit möglicherweise ein tragisches Unglück verhindern.
Wann die Notbremse nicht gezogen werden darf:
Erleidet ein Passagier während der Fahrt einen medizinischen Notfall wie Herzstillstand oder epileptischer Anfall, ist es besser, den Zug weiterfahren zu lassen und sofort erste Hilfe zu leisten. Wichtig ist ein Notruf an die Transportpolizei. Hierzu gibt es die Notrufstellen im Zug oder die Telefonnummer 0800 117 117. Die Transportpolizei koordiniert den Hilfseinsatz optimal.

Der Missbrauch der Notbremse ist strafbar. In berechtigten Fällen, wo eine konkrete Gefährdung vorliegt, wird aber niemand ein juristisches Nachspiel befürchten müssen.

Wie die Notbremse resp. die Notbremsanforderung funktioniert, zeigt der «Einstein»-Beitrag vom 5. April 2012

Sieben Jahre.

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Heute sind es auf den Tag genau sieben Jahre, seit ich selber Züge führe. Am 3. März 2009 setzte ich mich zum allerersten Mal alleine in einen Führerstand. Die Zugnummer lautete 18973, eine S9 also, mit Abfahrt 17:38 in Zug, Ziel Uster. Meine Eltern fuhren als Passagiere im ersten Wagen hinter der Lok mit, um diesen grossen Moment mit mir zu teilen.

Martin Senn (Prüfungsexperte) übergibt Markus Leutwyler das Lokführerdiplom.

Prüfungsexperte Martin Senn übergibt Markus Leutwyler das Lokführerdiplom.

Sieben Jahre. In einigen Bereichen des Lebens ist das keine allzu grosse Zeitspanne. Wer ein Bild von mir aus dieser Zeit anschaut, wird mich problemlos wiedererkennen. Ebenso mein Haus oder die Strasse, in der ich wohne.

Und bei der Eisenbahn? Diese uralte, traditionelle Art der Fortbewegung, da hat sich doch sicher nicht viel verändert, könnte man meinen. Klar, wir fahren immer noch auf Schienen und die Züge haben immer noch eine ähnliche Form. Und doch gab es Umwälzungen, grosse und kleine.

Mein erster Zug beispielsweise, der fährt so gar nicht mehr. Die Linie wurde umbenannt in S5 und sie führt neu von Zug nach Pfäffikon SZ. Die vierte Teilergänzung des Zürcher Verkehrsverbunds hat ziemlich viel Altbekanntes auf den Kopf gestellt. Prominenteste Beispiele dafür sind der Weinbergtunnel nach Oerlikon und die beiden Brücken der Durchmesserlinie in Richtung Altstetten.
Den Bau dieser Brücken konnte ich vom Anfang bis zum Ende beobachten.

Bau der Letzigrabenbrücke.

Bau der Letzigrabenbrücke.

Element um Element wuchsen die Brücken in die Länge. Und irgendwann traf das letzte Element auf den Brückenkopf Seite Altstetten und wurde mit ihm verbunden. Fahrleitungsmasten und Signale wurden errichtet. Im vergangenen Dezember befuhren dann die ersten regulären Züge diese «Achterbahn». Ich habe in der Zwischenzeit selbst schon Züge über die Brücken geführt. Solche, die nach Genf fahren.

Baustelle Europaallee.

Baustelle Europaallee.

Im Jahr 2012/13 wurde mir ein Sprachaufenthalt in Lausanne ermöglicht. Ich lernte neue Kolleginnen und Kollegen, neue Strecken und sogar neue Fahrzeugtypen kennen. Der RABe 511 war damals frisch ab Werk und wir im Welschland waren unter den Ersten, die ausgebildet wurden. Ich erinnere mich noch an einen Zug, der erst knapp 4000 Kilometer auf dem Zähler hatte. Etwas Besonderes, wenn man bedenkt, dass Züge Millionen von Kilometern zurücklegen, bis sie zum Alteisen gehören!

Auch das Umgekehrte habe ich erlebt. Mit dem vorletzten Fahrplanwechsel sind die RBe540 (ehem. RBe 4/4) von einem Tag auf den anderen aus dem Blickfeld verschwunden. Diese als «Expo 64-Züge» bekannten Triebwagen waren gutmütige Arbeitspferde. Unbequem, unklimatisiert, ineffizient und laut, aber dafür zuverlässig und mit einer guten Haftung auf den Schienen.

RBe 540: Ausgemustert im Dezember 2014.

RBe 540: Ausgemustert im Dezember 2014.

Blick in den Führerstand eines BDt (Steuerwagen). Diese alten Führerstände verschwinden langsam aus dem Alltag.

Blick in den Führerstand eines BDt (Steuerwagen). Diese alten Führerstände verschwinden langsam aus dem Alltag.

Ein grosser Wandel hat sich auch im Bereich der Kommunikation abgespielt. Zu meiner Anfangszeit konsultierte ich noch täglich das Anschlagbrett, an welchem dutzende Zettel hingen. Ebenso erhielten wir regelmässig die neusten Vorschriften und Streckentabellen in Papierform. Und heute, da dies alles elektronisch erfolgt, kann ich ein Geständnis ablegen: Dieser Zettelkram war nicht meine Stärke. Manchmal stapelten sich die Papiere bei mir, ich hätte mein Zimmer damit tapezieren können…

Auch gegenüber den Kunden wird anders kommuniziert. Die Stationsansagen erfolgen heute meist «ab Band», d.h. eigentlich ab einem kleinen Computer. Die Rollbandanzeigen an den Seiten und Fronten der Züge wurden durch Punktmatrixdisplays ersetzt. Und als auffälligste Vertreter dieser Veränderung sind sicher die neuen Bildschirme in grossen Bahnhöfen zu nennen, die die Fallblattanzeigen ersetzen.

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Die alten Rollbandanzeigen…

Ein mittlerweile auch ersetztes Punktmatrixdisplay mit Fernweh.

… wurden mittlerweile durch Punktmatrixdisplays ersetzt. Hier eines mit Fernweh.

Die Einsprachen gegen die Antennen des Bahnfunksystems «GSM-R» scheinen mittlerweile abgearbeitet, sodass wir nun lückenlos über ein eigenes Handynetz digital kommunizieren können. Der «Zugfunk 88» wurde abgeschaltet.

Für den Kunden zwar sehr wichtig aber kaum sichtbar sind die Verbesserungen im Bereich Sicherheit. Heute gibt es keine direkt wirkenden Notbremsen mehr, sondern «Notbremsanforderungen», die ein unerwünschtes Anhalten in Tunnels verhindern können. Geöffnete Türen werden im Führerstand angezeigt und es wurde intensiv in die Zugüberwachung (ZUB und ETCS) investiert.

 

Wie sehen meine Arbeit und mein Umfeld wohl in sieben Jahren aus?

 

Seit sieben Jahren arbeitet Markus als Lokführer, seit ziemlich genau drei Jahren ermöglicht er euch im hier Blog einen Einblick in seinen Arbeitsalltag. → Mehr Beiträge von Markus lesen.

Besichtigung der Betriebszentrale Ost.

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Was hat ein Lokführer in einem Betriebsgebäude am Flughafen Zürich verloren? Richtig, er besucht die Betriebszentrale Ost. Hier werden sämtliche Züge des Kernnetzes der S-Bahn Zürich sowie der Ostschweiz gesteuert. Konkret: Deren Fahrten werden überwacht und Signale und Weichen von dort aus gestellt.

Marc Ramp arbeitet hier als Teamleiter im Sektor Limmat und wird uns in den nächsten Stunden durch die Zentrale führen. Der Kommandoraum ist gut gesichert. Hinein geht’s nur mit Badge und Pin-Code. Das Licht ist gedämpft, ebenso die Geräuschkulisse. Durch die Fenster sieht man Flugzeuge hin- und herrollen und ab und zu starten oder landen. Nur Züge sieht man weit und breit keine. Ich wähle den Arbeitsplatz «Säuliamt», da ich im Säuliamt wohne. Die zuständige Zugverkehrsleiterin heisst Daniela Arxleben. Sie ist Quereinsteigerin und hat vor einem knappen Jahr die Ausbildung abgeschlossen.

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Es ist ruhig heute, nur in Dietikon funktioniert eine Weiche nicht richtig. Doch das ist schon den ganzen Tag so und sorgt nicht mehr für grössere Probleme. An jedem Arbeitsplatz sind zehn Bildschirme miteinander verknüpft. Links finden sich Gleispläne, wo Züge als rote Linien dargestellt sind. In der Mitte ist der grafische Fahrplan. Die Zeitachse läuft von oben nach unten. Die Bahnhöfe sind horizontal angeordnet. Ein Zug wird als Linie dargestellt, die entweder von links oben nach rechts unten oder von rechts oben nach links unten laufen kann. Bleibt der Zug stehen, ist die Linie vertikal. Daniela sieht diesen Linien auf den ersten Blick an, wo Kreuzungen stattfinden und wo Konflikte entstehen.

Die S-Bahnen sind momentan nicht weiter spektakulär. Sie tuckern von einer Station zur nächsten. Ein wenig Abwechslung bringt ein Güterzug aus der Industrie Birmensdorf, der zwischen den S-Bahnen verkehrt. Das System «adaptive Lenkung» (ADL) übermittelt dem Lokführer eine Meldung mit der optimalen Geschwindigkeit, damit er elegant zwischen die S-Bahnen passt. Kurz darauf hüpft seine Linie nach unten. Der Lokführer hat die tiefere Geschwindigkeit ausgeführt. Im regulären Betrieb ohne Störungen ist die Arbeit hier schon ziemlich abstrakt.

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Plötzlich kommt Bewegung in die Angelegenheit. Der Disponent Bahnverkehr taucht am Arbeitsplatz auf und weist auf einen Zug hin, der in Affoltern am Albis nicht wie gewünscht abgefahren ist. Daniela greift zum Hörer und kontaktiert den Lokführer. Sein Zug hat eine Störung mit dem Hauptschalter. Kurz darauf erscheint auf einem Bildschirm ganz rechts die Meldung: «18564: Hauptschalter geht nicht rein. Steht am Perron».

ALEA

Das «Alea» ist ein Chat-System, auf das alle relevanten Stellen in der Schweiz Zugriff haben. «Lokführer steht in Kontakt mit der Lokleitung», erscheint wenig später. Der Infoassistent sorgt nun dafür, dass die Verspätungsmeldung auf den Aussenanzeigen erscheint. Das Signal steht in Affoltern am Albis für den stillstehenden Zug bereits auf Fahrt. Bis Knonau, das sind einige Kilometer, gibt es keine Weiche, d.h. der Gegenzug kann nicht kreuzen. Und das wird nun zum Problem. Das Signal muss «zurückgenommen» werden. Dazu kontaktiert Daniela vorschriftsgemäss nochmals meinen Kollegen. Ich stelle mir vor, wie er dabei ist die Störung zu beheben und sich wahrscheinlich nur mässig über den Anruf freut.

Das Signal zeigt nun wieder «Halt». Doch verflixt lange zwei Minuten geht nichts, denn die alten Domino-Stellwerke sind für diese Zeit nach einem Noteingriff blockiert, um die Zugsverkehrsleiter vor überstürzten Handlungen zu schützen. Die Wartefrist betrifft auch den Gegenzug in Knonau, der nun nicht abfahren kann und ebenfalls verspätet wird. Seine rote Linie auf dem Bildschirm verschiebt sich nach unten.

Mittlerweile konnte der Lokführer die Störung in Affoltern am Albis beheben und muss nun aber warten, bis der Gegenzug eingetroffen ist. Mit 15 Minuten Verspätung fährt er weiter. Daniela optimiert seinen Fahrverlauf, damit er möglichst wenig gebremst wird. Dazu muss der Zug in Knonau ins Gleis 1 statt 2 einfahren, damit keine ablenkenden Weichen befahren werden müssen. Ablenkende Weichen bedeuten meist eine tiefere Geschwindigkeit. Ein Mausklick genügt, und die Passagiere am Perron werden über die Gleisänderung informiert. Über einen kleinen Lautsprecher kann ich die Ansage mithören. «Information zur S5 nach Zug. Die S5 nach Zug verkehrt 15 Minuten später und verkehrt auf Gleis eins. Grund dafür ist eine technische Störung am Zug.»

Die Meldung des Lokführers im «Alea» hat neben der Betriebszentrale noch andere Stellen aktiviert. Die Lenkung für das Personal musste die Arbeitszeiten und Aufträge des Lokführers überprüfen. Hat er genügend Pause? Wäre eine anschliessende Arbeit geplant gewesen? Falls ja, wer könnte seine Arbeit übernehmen? In diesem Fall ging es auf, der Lokführer hätte ohnehin eine Wartezeit im Gleisfeld gehabt. Im «Regionalen Operations Center» in Zürich wurde die Meldung ebenfalls wahrgenommen und es wurden Durchsagen in den Zug übermittelt.

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Pünktlich zum Ende der Besichtigung kommt der verspätete Zug in seinem Zielbahnhof Zug an. Der Arbeitsplatz für Zug ist gleich rechts davon. Die Arbeit der Zugverkehrsleiterinnen und Zugverkehrsleiter ist für uns Lokführer normalerweise eine Black Box. Dieser Einblick in die Betriebszentrale Ost ermöglicht es mir, besser zu verstehen, was am anderen Ende der Telefonverbindung vor sich geht. Und wer weiss, vielleicht habe ich ja sogar einmal Daniela am Telefon.

Besten Dank für die interessante Führung!


TGV, Weichkäse, Schweizerfähnchen und ein Filmfestival.

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Bei einem Sprachaufenthalt im Welschland lernte ich neue Kollegen kennen. Darunter war auch ein TGV-Lokführer. Mit ihm ging ich gelegentlich wandern. Er fragte mich, ob ich seine letzte Fahrt durch das Val de Travers filmisch begleiten wolle. Ich tat dies und schrieb einen Beitrag im SBB-Blog. In unserer Pause in Frasne führte er mich in eine Käserei und schwärmte vom französischen Weichkäse. Wir kauften ein wenig Käse und fuhren zurück in die Schweiz.

Etwas später las ich eine Kurzmeldung in einer Zeitung. Im Berner Seeland wohnt Sonja Schmid direkt an der Bahnlinie. Zwei Mal täglich winkt sie den vorbeifahrenden TGVs zu. Und das seit vielen Jahren. Das Winken sei den Lokführern nicht entgangen und so seien Kontakte entstanden, stand da geschrieben. Einer der Lokführer warf gelegentlich Geschenke aus dem Fenster, z.B. Weichkäse aus Frankreich. Nun wurde aber die Streckenführung des TGVs geändert, was dieses zur Tradition gewordene Ritual von einem Tag auf den anderen beendete. Ich musste schmunzeln und dachte mir nichts Weiteres dabei. Vorerst. Doch dann entstand da ganz langsam eine Verknüpfung in meinem Gehirn. TGV. Lokführer. Weichkäse. Weichkäse aus Frankreich!

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Jane Birkin winkt in «La femme et le TGV» täglich dem TGV. Ganz wie dies Sonja Schmid im richtigen Leben getan hat. Foto © www.tgv-movie.com

Nicht nur ich habe die Kurzmeldung gelesen. Auch Timo von Gunten, einem äusserst begabten jungen Regisseur, war sie ins Auge gestochen. Er fand die Geschichte berührend und ersann ein Drehbuch. Der TGV kommt darin vor, der französische Weichkäse und ein Schweizerfähnchen. Mit diesem winkt der von Jane Birkin gespielte Charakter im Kurzfilm «La femme et le TGV» täglich dem TGV. Ganz wie dies Sonja Schmid im richtigen Leben getan hat.

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Dreharbeiten entlang der TGV-Strecke. Foto © www.tgv-movie.com
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Regisseur Timo von Gunten (rechts). Foto © www.tgv-movie.com

Ich war noch nie am Filmfestival in Locarno, was ich jetzt rückblickend ein wenig bereue. Nun sitze ich aber zum ersten Mal in «La Sala» und warte auf die Premiere von «La femme et le TGV». Alle 900 Plätze sind besetzt. Rechts von mir ist mein TGV-Kollege mit seiner Frau. Hinter ihm ein anderer Lokführer aus der TGV-Gruppe mit seiner Frau und neben ihm sitzt Sonja Schmid mit ihrem Mann. Es wird dunkel. Auf der Leinwand rauscht der TGV vorbei. Die rührende Geschichte nimmt ihren Lauf. Jane Birkin spielt hervorragend, die Bilder sind wunderschön und versprühen viel Swissness, obwohl einiges in Frankreich gedreht wurde. Mein Kollege und auch Sonja Schmid haben einen kurzen Cameo-Auftritt. Das heisst sie durften eine kleine Rolle im Film spielen. Beim vermeintlichen Schluss habe ich Tränen in den Augen. War’s das jetzt? Lässt Timo von Gunten jetzt wirklich die arme alte Frau so alleine zurück? «3 Monate später» steht nun auf der Leinwand und es folgt ein fulminantes Happy End. Sogar der Kanarienvogel darf aus seinem Käfig! Ein langer und tosender Applaus füllt den Raum.

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Foto © www.tgv-movie.com

Nach drei weiteren Filmen werden die Türen nach draussen geöffnet. Die Szene vor dem Kino könnte selbst aus einem Film stammen. Und zwar aus einem dieser übertriebenen Amischinken. Prominente aus der Filmszene stehen herum und smalltalken, ein ehemaliger Bundesrat – er fiel schon in seiner Amtszeit durch seine Nähe zur Kultur auf – ist auch zugegen. Eine aufgetakelte Filmproduzentin aus Los Angeles ist extra angereist, um der Premiere beizuwohnen. Sie ist begeistert. Mein TGV-Kollege und ich plaudern ein bisschen mit ihr und bewundern die talentierte Filmcrew. Da mein Kollege kein Englisch spricht, werde ich zum Dolmetscher. «Was there really a romance?» Ob es in der Realität auch eine Liebesgeschichte gegeben habe, möchte die Amerikanerin wissen. Ich übersetze. Nein, es blieb bei einer Freundschaft. «Friendship». Sie nickt ein wenig enttäuscht.

Die TGV-Clique und ich sitzen später bei einem Kaffee zusammen und es werden weitere Anekdoten ausgetauscht. «Was war eigentlich das allererste Geschenk, welches Du aus dem Fenster geworfen hast?», möchte ich von meinem Kollegen wissen. Es war ein Schweizerfähnchen…

Titelbild © www.tgv-movie.com

Pokémania im Hauptbahnhof.

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«Du musst schreiben, dass ich ein guter Pokémon-Fänger bin», meint mein Sohn im Zug von Luzern zurück nach Hause. Er hat in der Tat ein sehr treffsicheres Händchen. Der Akku meines Smartphones ist leer, ebenfalls die Wasserflasche und das Fressrucksäckli. Dafür sind wir zwei Levels aufgestiegen, haben Dutzende Pokémons gefangen und viele «Items» bekommen. Wir sind müde aber glücklich.

An den kleinen Monstern von «Pokémon Go» kommt zur Zeit niemand vorbei. Ich kenne mich mit Computerspielen überhaupt nicht aus. Aber die Idee, in der echten Welt herumzulaufen und Mönsterli zu fangen, fand ich spannend. Die Mönsterli sehen auch irgendwie herzig aus. Und etwas Bewegung kann mir sicher nicht schaden…

Poké-was…?

An realen Orten «verstecken» sich die Pokémons, von denen es weit über hundert verschiedene Typen gibt. Häufige und seltene, schwache und starke. Ist die App geöffnet, werden die Pokémons auf dem Bildschirm sichtbar. Die Pokémons werden gefangen, indem man Bälle nach ihnen «wirft», also eine Wischbewegung auf dem Touchscreen ausführt. Fortgeschrittene Spieler können ihre Monster in Arenen gegen andere kämpfen lassen und je nach eigener Stärke Herr über die Arena werden. Sympathisch finde ich, dass die Pokémons nicht sterben. Sie sind zwar erschöpft, gewinnen dafür aber an Erfahrung. Genauso wie mein Sohn und ich. Ebenfalls wichtig sind die Pokéstops, bei welchen man Bälle, Stärkungstränke und andere nützliche Items bekommt.

Wenn ein Pokémon auftaucht, nimmt die Smartphone-Kamera Bilder der realen Umgebung auf und kopiert das computergezeichnete Viechli in das Bild. So entsteht der Eindruck eines Pokémons in der realen Landschaft. Das ist manchmal sehr lustig. Diese Funktion (augmented reality) kann aber auch ausgeschaltet werden, was ich ambitionierten Spielern empfehle. Das Fangen ist dann einfacher und die ahnungslosen Personen in der Umgebung meinen nicht, sie würden fotografiert.

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Es gibt keinen Grund, kopflos den Monstern nachzurennen. Erscheint eins auf dem Bildschirm, kann es dort gefangen werden, wo man gerade steht. Eine einfache Regel, die generell im Leben hilft, ist auch bei Pokémon Go sinnvoll: Nur eine Tätigkeit aufs Mal ausüben. Spielen während dem Autofahren, dem Gehen oder auch wenn man sich mit jemandem unterhält, ist eindeutig keine gute Idee. Das ist nicht anders als bei SMS oder Whatsapp.

Nach Luzern sind mein Sohn und ich extra gefahren, weil in Städten die Dichte an Items und Pokémons generell sehr hoch ist. Wir sind mehrere Stunden herumgelaufen und haben einen tollen Nachmittag zusammen verbracht. Liegen mehrere Pokéstops nahe beieinander, trifft man dort auf viele andere Spieler. Taucht ein seltenes oder besonders starkes Pokémon auf, ist deutlich die Nervosität und Euphorie zu spüren. Als hätte die eigene Fussballnationalmannschaft ein Tor geschossen.

Nachts im Hauptbahnhof.

Ein besonders ertragreicher Jagdgrund ist der Zürcher Hauptbahnhof. Tagsüber sitzen und stehen dort meist schätzungsweise gegen zweihundert Pokémon-Jäger und viele bleiben bis spät in die Nacht. Neulich habe ich nach einem Spätdienst noch einen Spaziergang durch die Stadt angehängt. Selbst um Mitternacht trifft man dabei auf andere Spieler. Das gemeinsame Thema macht es einfach, Kontakt aufzunehmen. Bei der ETH habe ich einen Studenten aus Deutschland getroffen. Mit vereinten Kräften haben wir eine Arena erobert. Eine englisch sprechende Frau und ihr Freund aus Indien stiessen dazu. Voller Stolz platzierten wir unsere besten Kämpfer. Doch schon einige Minuten später wurden wir wieder rausgekickt. Gegen halb zwei war ich zurück im HB. Noch immer waren rund zwei Dutzend Spieler anwesend. Ein Sicherheitsmann machte die Runde und schickte sie nach Hause. Auch Pokémons brauchen Nachtruhe!

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Der Hauptbahnhof in Zürich: Ein beliebter Treffpunkt für Pokémon-Jäger.

 

Vertrauen ist gut.

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Zäher Nebel liegt seit Tagen über dem Mittelland. Mein Regioexpress rauscht durch das einheitliche Grau. Das Landschaftspanorama hat Sendepause. Ab und zu taucht ein Signal aus dem Nichts auf. Zwei grüne Lampen, schräg nach oben angeordnet. Alles in Ordnung. Die Nadel auf dem Tacho zeigt auf 130 km/h. Eine leichte Linkskurve, ein leichtes Gefälle. Othmarsingen.

«Schon verrückt», denke ich. Was jetzt vor mir auftaucht, ist keine Sekunde später bereits an mir vorbeigehuscht. Im wahrsten Sinne des Worts muss ich blind darauf vertrauen, dass für meine reibungslose Fahrt alles korrekt vorbereitet ist und zuverlässig funktioniert.

Vertrauen. Mir wird erst jetzt bewusst, welch grosse Bedeutung das hat. Zwar wird mein Lohn in Schweizer Franken bezahlt und auch die Passagiere bezahlen ihre Billette damit. Doch die eigentliche Währung im Bahnbetrieb ist das Vertrauen.

 

Die Schienen unter mir, die hat mal jemand da montiert. Oft fahre ich an Baustellen vorbei, auf denen die Gleisbauer dabei sind, neue Schienen zu verlegen. Und die machen das beeindruckend gut. Einfach ist das nicht! Denn bei Geschwindigkeiten bis zu 200 km/h ist Präzisionsarbeit gefordert. Schon kleine Abweichungen von der Soll-Linie bemerken wir Lokführer als Schlag oder Verwerfung. Natürlich müssen auch die Verschweissungen perfekt halten. Seit ich Lokführer bin, habe ich tausende von Kilometern unter die Räder gebracht. Auf die Schienen – respektive ihre Erbauer – konnte ich mich stets verlassen.

Über mir tanzt die Fahrleitung im Zickzack und da oben soll sie auch bleiben. Immerhin führt sie eine Spannung von 15 000 Volt. Die Fahrleitung ist im Sommer wie im Winter genau richtig gespannt, obwohl sie sich je nach Temperatur ausdehnt oder zusammenzieht. Gute Arbeit!

Im Heitersbergtunnel kündet mir ein Signal eine auf 90 km/h reduzierte Geschwindigkeit an. Über eine Weiche wechsle ich die Seite und fahre jetzt rechts. Meistens fahren wir links. Doch auch rechts muss ich nicht befürchten, dass mir ein Zug entgegenkommt. Darauf kann ich mich voll und ganz verlassen. Gescheite Köpfe haben die Sicherungsanlagen so konstruiert, dass sie derart schwerwiegende Fehler gar nicht erst zulassen. Und zuverlässige Menschen haben die Signale, Gleisfreimeldeeinrichtungen und Überwachungen draussen in der realen Welt installiert. Ich kann auch darauf vertrauen, dass die Zugverkehrsleiterinnen oder der Zugverkehrsleiter in den Betriebszentralen ihr Bestes geben, mich pünktlich und effizient nach Zürich zu leiten.

017-12

Je länger ich nachdenke, desto mehr realisiere ich, wie sehr alles zusammenhängt. Jedem wird Vertrauen geschenkt und jeder schenkt es weiter. Es gibt keinen Bereich, wo Vertrauenswürdigkeit unwichtig wäre. Wir verlassen uns darauf, dass die Züge sorgfältig gewartet werden und dass sie regelmässig geputzt werden. Wir fühlen uns sicher, weil wir wissen, dass im Notfall die Rettungsorganisationen und Sicherheitskräfte zur Verfügung stehen und auf Unvorhergesehenes vorbereitet sind. Wir vertrauen darauf, dass die Menschen im Hintergrund das Geld für den Betrieb und für unsere Löhne beschaffen und sorgsam damit umgehen. Und dass sie das Unternehmen für die Zukunft rüsten.

Bald ist mein Dienst zu Ende. Ich muss gähnen. Der Dienst war lang und die Fahrt im Nebel anstrengend. Was, wenn ich jetzt einfach einschlafe? Das wird nicht passieren. Nicht zuletzt auf mich selbst kann ich mich verlassen.

Vertrauen als Währung. Das gilt auch im Zusammenhang mit unseren Kunden:

Liebe Fahrgäste,

ihr seid die Ersten in der Vertrauenskette. Das Billett bezahlt ihr zwar mit Geld, doch das Vertrauen schenkt ihr uns. Dieses Geschenk ist noch viel wertvoller als das Geld. Wir setzen uns mit Leib und Seele dafür ein, dass wir es nicht verspielen sondern verdienen.

Danke für euer Vertrauen im Jahr 2016!

023-2

Auf und davon.

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Knapp über dem Horizont steht die gleissend gelbe Sonne. Die Gluthitze des Tages lässt die Luft über den Weichen vor dem Zürcher Hauptbahnhof flimmern. Im Gleis 15 steht der Nachtzug 470 nach Hamburg Altona. Das Rollmaterial ist nicht für den Pendelbetrieb geeignet. Deshalb werden zwei Loks benötigt: Die eine zieht den Zug an seinen Zielort, mit der anderen wurde der Zug aus dem Gleisfeld in den Bahnhof gezogen. Diese Lok wurde abgekuppelt und steht jetzt am Prellbock. Sobald der Zug abgefahren ist, werde ich sie an den vorgesehenen Abstellort fahren.

Während ich dem Zug entlang gehe, sprechen mich immer wieder Reisende an. Und zwar nicht die «geschätzten Reisenden» aus den Zugdurchsagen, sondern waschechte Reisende. Mit mächtigen Koffern oder Rucksäcken, legeren Kleidern und dicken Bündeln mit Reiseunterlagen in den Händen. Touristen aus der Schweiz, aus Europa und Übersee.

Ob ich «english speake», will eine Amerikanerin wissen. Ich schiele auf die ausgedruckten Billette mit den Strichcodes. Englisch spreche ich zwar, aber leider habe ich keine Ahnung von internationalen Fahrausweisen. Ich verweise sie an die Zugbegleiter etwas weiter vorn. Zwei junge Pärchen «auf Interrail» kommen fröhlich und aufgedreht auf mich zu. Die eine der beiden Frauen hält mir ein Formular unter die Nase und will wissen, wie das auszufüllen sei. Auch da habe ich leider keinen blassen Schimmer und staune ziemlich, was die Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter alles wissen müssen. «Macht nichts, dass Sie das nicht wissen», winkt die Frau ab, «Wir finden es super, dass Sie den Zug für uns fahren.» Das ist zwar auch nicht ganz präzis, aber egal. Es ist Sommer und da nimmt man es nicht so genau. Mich freut diese Aufmerksamkeit und ich wünsche allen eine gute Reise.

Stimmungsbild aus dem Zürcher Hauptbahnhof

An einen Elektrokasten angelehnt sitzt eine junge Frau und streckt mir eine Zigi entgegen. «Hast Du Feuer?» Sommer ist Duz-Zeit. «Sorry, bin leider Nichtraucher…». Ich sehe, dass sie Tränen in den Augen hat. Sommer ist wohl auch die Zeit des Trennungsschmerzes. Oder was ist wohl der Grund für ihre Trauer? Wieso sitzt sie vor diesem Zug und warum ist niemand bei ihr? Ich hätte ihr gerne geholfen, aber wie bloss?

Verschwitzt richte ich mich auf der Lok ein. Die Klimaanlage haucht mir frostig in den Nacken. Da passiert es. Es erwischt mich eiskalt. Ein heftiges Fernweh schüttelt mich und ich bekomme Reisefieber. Ich will auch! Rein in einen Zug, abfahren, weg, immer weiter weg… Mit dem Kopfhörer Musik hören, die die vorbeiziehende Landschaft zum epischen Monumentalfilm werden lässt. Dösen oder schlafen und die Zeit vergessen.

Silhouetten von Menschen bewegen sich im wärmenden Gegenlicht und verschwinden im Zug. Die Türen schliessen mit einem Klacken. Die immer noch weinende Frau steht auf und geht weg. Träge setzt sich der Zug in Bewegung. Mit meiner Lok folge ich ihm behutsam bis zum ersten Zwergsignal, das nach seiner Vorbeifahrt von «Fahrt» auf «Halt» zurückfällt. Die Schlusslichter verschwinden im Meer aus flüssigem Gold. Gute Reise!

Wanderlust.

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Viele meiner Abenteuer begannen mit einer Zugfahrt! Einfach einsteigen und losfahren, dahin wo ich grad Lust habe. Bereits in meiner Jugend hatte ich ein GA. Und mit ihm die Sehnsucht nach der grossen, weiten Welt. Auch wenn diese vorerst an der Schweizer Grenze endete.

Auf meinen Exkursionen war stets eine meiner vier Wanderkarten dabei. Im Massstab 1:200 000 deckten sie die gesamte Schweiz ab und dank eingezeichneter Bahnlinien genügte das voll und ganz für mich. Ich konnte mich darauf verlassen, dass ich immer vor dem Eintritt des Hungertodes auf eine Postautohaltestelle oder einen Bahnhof traf.

Wanderkarten

Als ich meine heutige Frau und damalige Freundin gerade erst kennengelernt hatte, entschieden wir uns spontan für einen Ausflug in Richtung Schwarzenburg. Bei der Haltestelle «Schwarzwasserbrücke» stiegen wir aus und gingen runter zum Fluss. Wir hatten so gar keine Lust umzukehren, auch als der Weg plötzlich im seichten Wasser endete. Egal! Schuhe weg und ab durchs Wasser. Es wurde immer dunkler. Gemäss Karte Nummer 1 machte der Fluss drei Schlaufen, dann müsste es einen Weg aus der Schlucht geben. In beinahe absoluter Dunkelheit fanden wir ihn und unsere Safari endete im warmen Restaurant in Lanzenhäusern.

Wenn ich nicht einschlafen konnte, holte ich manchmal eine Karte hervor und träumte mich in andere Regionen. Dabei fiel mir eine eigenartige Felsarena im Neuenburger Jura auf. Wenig später stand ich am Rand des atemberaubenden Creux du Van. Wer den Creux du Van nicht kennt, verpasst etwas! Mit etwas Glück trifft man sogar auf Steinböcke. Wer länger in der Gegend weilt, sollte auch die Areuse-Schlucht besuchen.

Während den Zugfahrten entdeckte ich immer wieder Landschaften, die ich unbedingt einmal erwandern wollte. So gingen mir die Ideen nie aus.

Vier Mal durchquerte ich die Schweiz mit dem Velo. Eine Route führte mich von Zürich aus dem Jura entlang und ich wagte mich erstmals allein auf ausländisches Terrain. Auf dem Col de la Faucille im französischen Jura (1323 m ü. M.) wehte ein frischer Wind. Nun kam das Dessert! Eine wunderbar lange Abfahrt bis Gex (ca. 500 m ü. M.), wo wieder sommerliche Temperaturen herrschten. Im Bahnhof Genf Flughafen verlud ich mein Velo in den Intercity und liess mich die gesamte Strecke am Stück wieder heimchauffieren. Daran erinnere ich mich jedes Mal, wenn ich heute als Lokführer in Genf Flughafen ankomme.

Mit dem Älterwerden wagte ich mich immer weiter über die Grenze. Die Fahrt mit dem orangen TGV ins Herz Frankreichs inklusive Umsteigen in Lyon Part Dieu machte mir schon ein wenig Herzklopfen.

Wegweiser Wanderweg

Ich vertraute nicht nur meinen heiligen Karten, sondern auch den sonnenblumengelben Wegweisern. Fehlten diese ausnahmsweise – was sehr selten ist, die Wegweiserdichte in der Schweiz ist enorm – fragte ich die Menschen, denen ich begegnete. Ob von Rumendingen, Les Paccots, Fischenthal oder gar dem Ende der Welt: Ich kam jedes Mal zurück nach Hause(n)*.

Dem Wandern bin ich bis heute treu geblieben. Meist bin ich aber nicht mehr alleine unterwegs, denn unter den Lokführerkollegen habe ich ebenfalls begeisterte Wanderer gefunden. Die orangen Karten setze ich nur noch selten ein. An ihre Stelle sind selbst gedruckte Landkarten und ein Smartphone mit der SBB App getreten.

 

*Hausen am Albis, mein damaliger Wohnort.

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