Sorry, Leute, jetzt hab ich es schon wieder getan! Ich hab den roten Knopf gedrückt. Und damit Liebende getrennt, Schicksale besiegelt, Hoffnungen zerstört und unabänderliche Tatsachen geschaffen. Und wissen Sie was? Diesen Knopf drücke ich immer und immer wieder! Täglich dutzende Male. Bei jeder S-Bahn und jedem RegioExpress.
Von diesem Knopfdruck hängt letztlich auch die Fahrplanstabilität ab. «Warten oder starten?» – diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch meinen Arbeitsalltag.
Wie könnte es anders sein: Das wann und wie der Türschliessung ist in Vorschriften geregelt. Und zwar in der «Betriebsvorschrift SBB Verkehr».
Da steht:
«Die minimale Haltezeit beträgt 15 Sekunden. »
«Die Zwangstürschliessung ist einzuleiten, wenn die Abfahrtszeit erreicht ist und
- der Fahrgastwechsel offensichtlich abgeschlossen ist oder
- die maximale Haltezeit von 50 Sekunden verstrichen ist.»
Dass die Türen nicht vor der Abfahrtszeit geschlossen werden dürfen, ist eigentlich logisch. Aber die 50-Sekunden-Regel kann es in sich haben.
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Ich bekomme ab und zu Bemerkungen und Fragen von Fahrgästen mit zum Thema Türschliessung. Gerne möchte ich hier darauf antworten.
«Jetzt sind wir noch am Einsteigen, da schliesst dieser Lokführer schon die Türen. Kann der nicht warten, bis alle drin sind?»
Die Vorgabe ist 50 Sekunden. Reicht das? Jein. Meist reicht es. Je nach Bahnhof und Tageszeit wird deutlich mehr Zeit benötigt. So zum Beispiel in Bahnhöfen mit hohem Passagieraufkommen wie Altstetten, Oerlikon, Hardbrücke oder Stadelhofen. In diesen Fällen kann die Vorschrift nicht sinnvoll umgesetzt werden. Es ist völlig kontraproduktiv, den roten Knopf dann bereits nach 50 Sekunden zu drücken. Es stresst und verärgert die Passagiere und sie werden die Türen am Schliessen hindern. Das kann so weit gehen, dass mir der Bildschirm entnervt eine Türstörung anzeigt, die ich nur beheben kann, indem ich alle (!) Türen wieder freigebe. Zuletzt dauert das dann viel länger, als wenn ich meinen Fahrgästen die nötige Zeit gebe. Doch gerade an diesen Bahnhöfen strömen immer wieder neue Leute zum Zug. Und irgendwann muss ich halt doch den roten Knopf drücken, sonst sind wir morgen noch da…
«Eigentlich würde ich den Zug da gerne nehmen. Doch die Drucktaster sind dunkel und ich kann nicht mehr einsteigen. Warum öffnet der Lokführer nicht nochmals die Türen? Fällt ihm dabei ein Zacken aus der Krone? »
Dazu muss ich etwas ausholen.
Sobald ich den roten Knopf – also die Taste für die Zwangstürverriegelung – drücke, ertönt bei den Türen ein Summton und die Lampen blitzen oder blinken. Die Türen beginnen sich zu schliessen. Auch ein Druck auf die Taster kann sie nicht mehr öffnen.
Ist einer Tür etwas im Weg, so merkt dies der Klemmschutz, und sie öffnet sich wieder. Das ist eine Sicherheitsmassnahme. Der Klemmschutz kann aber auch dazu missbraucht werden, eine Tür absichtlich offen zu halten. So ist eine einzelne Person in der Lage, einen ganzen Zug aufzuhalten. Erst wenn alle Türen geschlossen sind, darf und kann ich abfahren. In allen modernen Fahrzeugen wird eine Abfahrt bei offenen Türen elektronisch verhindert!
Würde ich die Türen nochmals freigeben, beginnt der ganze Ablauf von vorne. Nur schon ein einmaliges Öffnen und wieder Schliessen der Tür braucht rund 15 Sekunden. Das klingt nach wenig, ist aber je nach bereits vorhandener Verspätung ein teures Kundengeschenk. Sind wir nämlich mehr als drei Minuten zu spät, wird dies registriert. Kann die SBB die Pünktlichkeitsvorgaben erfüllen, bezahlt ihr der Zürcher Verkehrsverbund einen Bonus. Umgekehrt muss sie einen Malus bezahlen, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Leider ist es ein offenes Geheimnis, dass wir in letzter Zeit nicht mit Pünktlichkeit punkten konnten.
«Immer wieder liest man Zeitungsmeldungen, dass Schulklassen beim Einsteigen getrennt wurden. Was denken die sich bei der SBB eigentlich!?»
Nicht immer kann ich als Lokführer den ganzen Zug überblicken. Einerseits sind unsere S-Bahn-Züge bis zu 300m lang. Andererseits sind Bahnhöfe oft leicht gekrümmt. Da sehe ich dann nur einen Teil des Zugs im Rückspiegel. In diesen Fällen versuche ich bei der Einfahrt anhand der wartenden Passagiere abzuschätzen, wie lange der Fahrgastwechsel in etwa dauert. Wenn ich eine Schulkasse oder Wandergruppe sehe, warte ich etwas länger. Was aber, wenn die Personen erst an den Zug kommen, wenn er schon dasteht? Dann drücke ich nach 50 Sekunden quasi blind den roten Knopf. Eine andere Möglichkeit habe ich nicht. Wer eine solche Gruppe leitet, kann ganz wesentlich zum Erfolg der Mission beitragen, indem er die Gruppe anweist, mehrere Türen zum Einsteigen zu benutzen.
«Jetzt habe ich mein Letztes gegeben und bin gerannt, was ich konnte, dennoch hat der Lokführer die Türen just vor meiner Nase geschlossen. Das hat der doch extra gemacht!»
Grundsätzlich gilt der Fahrplan zwar für alle, doch nicht jeder ist selber schuld, wenn er zu spät ist. Vielleicht hatte ein Anschlusszug Verspätung?
In der Stosszeit hat der Fahrplan trotzdem immer oberste Priorität. Hinten folgen dicht an dicht die nächsten Züge und ich befördere viele Passagiere. Viele von ihnen sind ebenfalls auf Anschlüsse angewiesen! Da wäre es unfair, wegen einer Einzelperson alle zu verärgern, die pünktlich waren. Der Takt ist mittlerweile so dicht, dass der nächste Zug sicher schon bald kommt. Bitte nicht aufregen!
In den Zwischen- und Randzeiten kann ich mehr Entgegenkommen zeigen. Kleine Verspätungen sind dann eher wieder aufzuholen. Wenn ich sehe, dass sich jemand bemüht, den Zug möglichst rasch zu erreichen, so warte ich bis zu etwa 30 Sekunden. Dazu muss die Person aber in meinem Blickfeld sein.
«Der Hund ist drin, die Halterin noch draussen… Das kommt nicht gut! Was tun?»
Der Klemmschutz registriert Objekte ab einer gewissen Dicke. Eingeklemmte dünne Objekte wie etwa eine Hundeleine, ein Schirm oder ein Jackenärmel werden nicht erfasst. Für mich als Lokführer werden in einem solchen Fall die Türen als geschlossen angezeigt und wenn ich die gefährliche Situation nicht sehen kann, fahre ich los. Sollten Sie je eine derartige Situation beobachten, von welcher eine konkrete Gefährdung ausgeht, ziehen Sie die Notbremse. Dafür ist sie da. Ich persönlich würde das auch tun, wenn ein Kind ungewollt von seinen Eltern getrennt wird.
Meine Ausführungen gelten hauptsächlich für den so genannten «kondukteurlosen Betrieb». Bei Fernverkehrszügen sind die Zugbegleiter alleine für die Türschliessung zuständig. Sie fertigen den Zug ab, geben mir die Erlaubnis zur Abfahrt und schliessen die Türen. Es ist mir als Lokführer nicht erlaubt, die Türen auf eigenes Gutdünken wieder freizugeben.
Glossar.
- Türfreigabe seitenselektiv: der Lokführer kann die Türen auf der linken und rechten Seite selektiv freigeben. Nun können die Passagiere die Türen mit dem Taster öffnen. Drückt ein Passagier den Innentaster während der Fahrt, öffnet die entsprechende Tür erst, wenn der Zug stillsteht.
- Zwangstürschliessung: Die Taster im Passagierbereich zum Öffnen der Tür werden dunkel geschaltet. Die Lichtschranken, welche normalerweise die Tür offen halten, wenn jemand in der Tür steht, werden deaktiviert. Die Tür versucht zu schliessen. Einzig wenn etwas in der Tür eingeklemmt wird, geht die Tür wieder auf.
- «Türschliesstaste»: Drückt der Lokführer die «Türschliesstaste», löst dies die Zwangstürschliessung aus. In der Regel zeigt die Taste durch leuchten oder blinken an, ob noch Türen geöffnet sind oder ob sie zwar geschlossen, aber noch freigegeben sind.
- Türe blockieren: Die Tür wird blockiert, wenn sie daran gehindert wird, sich zu schliessen.